Waldrast

Im Jahre 1392 schickte "das große Weib im Himmel" einen Engel auf die Waldrast, der einen hohlen Lärchenstock im Namen der Gottesmutter also ansprach:

"Du stockh sollest der Frauen im Himmel bild fruchten, dan halt wird da ein khirchfart aufkommen."

Das Bild wuchs nun im Stock und ward zuerst am Ostersonnabend 1407 von zwei frommen Hirtenjungen Hänsele und Peterle von Wizens erblickt. Verwunderungsvoll liefen sie hinab zu ihren Bauern und sagten ihnen, sie sollten auf die Waldrast gehen, sie hätten etwas Wunderbarliches in einem Stocke gesehen, welches sie sich nicht anzurühren getrauten. Das Bild wurde nun mit einer Säge aus dem Stock geschnitten und einstweilen nach Matrei gebracht. Das Glück, dem neuen Gnadenbilde eine neue Wohnung zu verschaffen, war einem armen Holzhacker Jakob Lusch zu Matrey vorbehalten. Den Vorfall erzählt das gleichzeitige: U. L. Frauen-Protokoll sehr naiv mit folgenden Worten:

"Chund sey gethan aller mannigkleich, als wie von erst die kirchen ay auf der waltrast in den eren unsr lieben Frawen erpavet und auf komen ist. Das ist also beschechn. Das ainer tzu matray ist gesessen mit namen Christan Lusch saliger, tzü dem ist kommen ain stymm an ainer phintztag nacht, als er an seinem pett lag, dye redt mit im tzü dreyn maln vnd sprach: slaffestu. Da antwurt er tzü der lesten vart, vnd fragt: wer pistu oder was wildu? Da sprach die stymm: ich bin ein stymm. Da sprach er: was wildu? Da sprach dye stymm: du sollt auffpringen ain kapelln in der eren vnsr lieben Frawen auf der waltrast. Da sprach er: des wil ich nit tun. Des geleichn cham dye stymm tzü der andern phinztag nacht, vnd redt mit im in masz als vor. Da sprach er: ich pin tzü arm dartzu. Da kam dye stymm tzü der dritten phyntztag nacht aber tzu im, vnd redt als vor. Also hett er der dreyer nacht chainer vor sorgen geslaffen, vnd sprach tzü der stymm: wie mainestus, das du nit von mir wild lassen? Da sprach dye stymm: du solt es tun. Da sprach er: ich wil sein nit tün. Da nam es in, vnd huebn gerathen auf, vnd sprach: du solt es tün, da beratt dich nur pald umb. Da gedacht er im: o ich armer man! was ratt ich, das ich recht tät? Vnd sprach: er wolts tun, wenn er nur die recht stat west. Da sprach dye stymm: im wald ist ein gruen Fleck im mosz, da leg dich nyder vnd rast, so wird dier wol chund gethan die rechte stat. Das tat er, vnd entslieff, vnd im slaff hört er tzway glöckl. Da erwacht er, und fach vor im auf dem fleck, da yetzund dye kirch stet ain Frawen in weißen klaydern, vnd het ain kind am arm, des ward im nur ain plickh. Da gedacht er im: allmächtiger got! da ist freyleich dye recht stat, vnd gieng auf dye stat, da er das pild gesechn het, vnd merckts aus nach dem, als er vermaint ain kirchen tze machn, vnd dye glöcklen chlungen, pys er ausgemert het. Dar nach hört er sey nichtz mer. Da sprach er: lieber got! wie sol ichs verpringen? ich pin arm vnd han kain guet, damit ich den paw verpringen mug. Da sprach die stymm: so gee tzü frumen lewten, dye geben dir wol also vil, das du es wol verpringst. Vnd wann es beschicht, das man es weychen sol, so stet es still XXXVI jar, darnach wird es fürgeng, vnd werden gar große Tzaychen da geschechen tzu ewigen tzeytten. Vnd da er dye kapellen an vachen wolt tze machen, da gieng er tzü seinem peychtvater vnd tet im das kund, da schueff er in für den pfarrer, vnd der pfarr' schueff in für den pischoff Vlreichn gen Brichsen, da gieng er tzü fünff malen gen Brichsen, das im der pyschoff das pawen vnd dye kapelln tze machen erlawbet. Das tet der pischoff. Vnd ist beschechen am ergtag vor sand pangratzien tag Anno doi CCCC vnd dar nach in dem newnten jare."

Lusch erhielt im Jahre 1411 vom Generalvicar zu Brixen einen Sammelbrief, und die anbefohlene Kapelle ward im Jahre 1429 vollendet; nun trat der von der Stimme vorhergesagte Stillstand von 36 Jahren ein, und sie ward erst im Jahre 1465 von Weihbischof Kaspar von Brixen geweiht. (Sammler für Tirol. 5. Bd. S. 254 ff.)

Quelle: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Tirol, Gesammelt und herausgegeben von Ignaz Vinzenz Zingerle, Innsbruck 1891, Nr. 260, S. 160ff.