Der Schnaner Draher

Im Dorfe Schnan [Schnann am Arlberg] lebte vor alten Zeiten ein Schwarzkünstler, unter dem Namen "Schnaner Draher" in der ganzen Gegend bekannt und gefürchtet. Gebürtig in diesem Orte, verlebte er seine Kindheit zu Schnan, gieng dann auf eine Hochschule, wo er so auf Abwege gerieth, daß er mit dem Teufel einen Pakt schloß, während sein Kamerad ein allverehrter Geistlicher wurde. Von der gediegenen Schwarzkunst dieses Zauberers wird Folgendes erzählt:

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Ein Bauer von Landeck hatte auf der Alpe Verwall einen stößigen Zuchtstier aufgetrieben, der ein so wildes Thier war, daß er auf alle Hirten und Sennerinnen losrannte, und diese oft nur mit genauer Noth ihr Leben retteten. Da kam Botschaft über Botschaft von der Alpe, der Bauer solle seinen Stier holen oder man werde dle wilde Bestie niederschießen. Der Bauer machte sich auf den Weg und traf in Schnan den Draher, der ihn um seine Geschäfte fragte. Als der Schwarzkünstler vom wilden Stier hörte, lachte er hellauf, handelte ihm den Stier ab und schickte einen Knaben aus die Alpe, um das Thier zu holen. Die Hirten glaubten anfangs, die Bestie werde dem Buben nicht folgen, aber sieh, daß Thier hatte von der Minute an alle Wildheit abgelegt und war so zahm wie ein Lamm geworden.

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Eine Witwe hatte eine kranke Kuh, der alle angewandten Mittel nicht halfen. Da gieng sie zum Draher, und dieser gab ihr den höchst sonderbaren Rath, sie solle dem Vieh die untere Kinnlade wegschneiden. Anfangs weigerte sich die Witwe, diesen Rath auszuführen, als aber der Zauberer ihr für das Leben der Kuh gutstand, gieng sie nach Hanse, um das Mittel zu versuchen. Kaum setzte sie aber das Messer an, eilte ein altes Weib in den Stall hinein und schrie:

"Du bringst ja das arme Vieh um!"

Dann streichelte es die Kuh über den Rücken - und von der Minute an war das Thier gesund. Hätte die Witwe dem Draher gefolgt, hätte sie der alten Hexe die untere Kinnlade weggeschnitten. So hat ihr später der Draher gesagt.

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Einmal gieng der Schnaner Draher nach Landeck, wo er ein bedeutendes Geld einzunehmen hatte. Als er mit seinen Geschäften fertig war und sich auf den Heimweg machte, war es schon Nacht. Einige Männer, denen man nichts Gutes nachsagte, wußten, daß er eine bedeutende Summe eingenommen hatte, setzten ihm nach und wollten ihn hinter Pians, wo der Weg oberhalb sehr hohen Felswänden hinführt, in die Tiefe hinabwerfen. Als der Draher gewahrte, daß ihm jemand folge, sah er sich um und wartete auf sie furchtlos und hieß sie als eine angenehme Reisegesellschaft willkommen. Die Wegelagerer waren über diese Unerschrockenheit verblüfft und schlossen sich auf Mord sinnend ihm an. Es war stockfinstere Nacht und die späten Wanderer schwebten in großer Gefahr, in die Tiefe zu stürzen oder an die Schrofenwände zu stoßen.

"Da müssen wir Licht haben," sagte der Draher, "sonst könnt's uns schlecht ergehen." -

Mit diesen Worten riß er von einem Felsen einen großen Eiszapfen und zündete ihn an, daß er wie eine helle Pechfackel brannte und aufloderte. Wie die Räuber dies sahen, dachten sie mit Entsetzen, dieser Mann hat's mit dem Teufel, und einer nach dem andern schlich sich heimlich davon. Der Draher aber gieng mit seinem brennenden Eiszapfen wohlgemuth der Heimat zu.

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Einmal triftete ein Haufen Bauern einen gewaltigen Lärchstamm aus dem Hochwalde herab mit unsäglicher Mühe. Er sollte ein Brücken-Enz abgeben, deßwegen konnten sie ihn nicht zerhauen oder auseinandersägen. Aber trotz aller Vorsicht schoß ihnen doch der Lärch über eine Eisblatter* hinab in eine Schlucht hinein, so daß sie alle mitsammen nicht mehr im Stande waren, denselben um einen Zoll zu verrücken. Da war aber gerade der Drechslermeister, bei dem der Draher lernte, unter den Arbeitern. Dieser sagte, als alles nicht mehr helfen wollte:

"Wäre nur mein Lehrbube da, der wüßte schon etwas, denn der kann helfen, wenn es sonst kein Mittel mehr gibt."

Man schickte gleich um den Buben. Als er kam, fragte er nur so viel, wohin sie den Lärchstamm haben wollten, und nahm bei diesen Worten den Baumriesen auf seine Schultern, trug ihn einen steilen Hügel hinan, wo er ihn dann wieder auf die rechte Schlittbahn brachte. - Entsetzlich verwunderten sich alle über den Lehrbuben, und jedermann gieng ihm in Zukunft voll Furcht aus dem Wege.

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Ein anderes Mal sollten die Zimmerleute eine Brücke schlagen, aber die gewaltigen Lärchstämme, welche zum Brücken-Enz bestimmt waren, fand man einige Schuhe zu kurz. Da war guter Ruth theuer, und die Arbeiter sannen hin und her, was da zu machen sei. Daranstücken kostete viel Zeit und Arbeit, und zudem hätte die Festigkeit der Brücke dabei gelitten. Glücklicher Weise gieng aber gerade der Draher vorbei, hörte davon reden und erbot sich, Abhilfe zu verschaffen. Er gieng also zu jedem Baume hinzu, packte ihn mit seinen starken Händen und streckte jeden Stamm um mehr als eine Elle, so daß alle überflüssig groß genug wurden. Und die Zimmerleute, denen es bei dieser gewaltigen Kraft des umheimlichen Draher ganz eiskalt über den Rücken lief, konnten die Brücke mit leichter Mühe vollenden.

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Ein andermal hatten die Bauern von Schnan einen Wald vertheilt, und ein jeder schickte sich eifrig an, seinen Theil zu fällen und heimzutriften; nur der Draher ließ sein Holz schlagen, rührte aber hernach keinen Stamm mehr an und spottete der Bauern wenn sie ihm Vorwürfe machten, daß die Risse durch zu tiefen Schnee bald unwegsam würden und sein Holz über den Winter verfaulen müßte, denn er hatte ein anderes Lieferungsmittel. Eines Abends verließ er sein Haus, gieng mit einer Geisel in den Wald, schnalzte damit über die Stämme hin, und im Nu stoben diese wie eine Schar Wildgänse vor seine Hütte. -

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Doch mit dem Draher sollte es noch anders werden. Alljährlich gieng er auf die Stanzer Kirmes, nicht um religiösen Pflichten nachzukommen, sondern um dem Kegelspiele und andern Lustbarkeiten beizuwohnen. Oft schon hatte ihm der Wirth das Haus verboten und während des Gottesdienstes verriegelt, aber wenn er von der Kirche heimkam, saß der Draher gemüthlich auf der Ofenbank. Da traf es sich einmal, daß sein alter Studienfreund, der allgemein geachtete Priester, auch zur Kirmesfeier nach Stanz kam, predigte, das Hochamt hielt und nach dem Gottesdienste seines frühern Kameraden, von dem er die sonderbarsten Dinge gehört hatte, ansichtig wurde. Er fieng mit ihm an zu reden und - ein Strahl der göttlichen Gnade fiel in die Seele des Schwarzkünstlers. Der Draher gieng in sich, entsagte seinem bösen Leben und endigte als Einsiedler in strengster Buße seine Tage in Waldeinsamkeit. (Oberinnthal,
Hammerle.)

*Wörtl. Eisblase; eisige Fläche

Quelle: Sagen aus Tirol, Gesammelt und herausgegeben von Ignaz V. Zingerle, Innsbruck 1891, Nr. 764, Seite 433ff.