Frau Ottilia

Ottilia, die Gemahlin des Heinrich von Rottenburg, war eine geizige Hausfrau und trug mehr Sorge für die Schweine im Stalle als für die Armen. Deßhalb befahl sie, die Ueberbleisel der Tafel den Schweinen vorzuwerfen. Dieser Auftrag gieng der Magd Nothburga tief zu Herzen und sie sann auf andere Mittel den Armen zu helfen. Sie fastete nun oft bei Wasser und Brot und gab ihr Kost den Armen. Doch aus dies wollte Ottilia nicht erlauben und führte bei ihrem Gemahle gegen Nothburga Klage. Als einmal die fromme Magd ihr gespartes Essen im Fürtuch und den erübrigten Wein in einer Flasche auf die Landstraße hinabtrug, um den Armen, die auf sie warteten, diese Labung zu bringen, trat plötzlich Herr Heinrich aus dem Gebüsche und fragte, was sie da trage. Sie wies ihm die offenen Schürze und zeigte die Flasche. Da sah er anstatt der Speisen nur Hobelspäne, und der Wein brannte ihn wie Lauge als er ihn verkostete. Darob ärgerte er sich nicht wenig und erzählte den Auftritt seiner Frau. Diese fuhr wüthend die Magd an und befahl ihr, baldigst das Schloß zu verlassen. Allein ehe dies geschah, erkrankt Ottilia und starb binnen weniger Tage. Bald nach ihrem Tode rumorte es im Schweinstalle fürchterlich. Ein Gespenst grunzte gleich andern Schweinen und riß mit denselben herum. Da rief Herr Heinrich einen Benediktiner von Georgenberg, welcher das Gespenst beschwor. Gezwungen vom frommen Manne bekannte der Geist, er sei die verstorbenen Frau Ottilia und sei verwiesen im Stalle gepeinigt zu werden, weil sie das heilige Almosen der Nothburga lieber den Schweinen als den Armen vergönnt habe. Sie könne nur durch ersprießliches Almosen und heilige Messen erlöst werden. Heinrich ließ nun reiches Almosen den Armen in St. Georgenberg ausgetheilt werden sollte. Durch diese Gutthäthigkeit ist dem Geiste Frieden und dem Schlosse die frühere Ruhe verschafft worden. (Unterinnthal.)


Quelle: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Tirol, Gesammelt und herausgegeben von Ignaz Vinzenz Zingerle, Innsbruck 1891, Nr. 338, Seite 200.