Der Gurk
        
        Es ist ehemals in Floruz Sitte gewesen, in den 
        hohen Nächten vom h. Abend bis zum Dreikönigsfeste nicht zu 
        arbeiten. Der Müller in der Klamm malte aber in der heiligen Nacht. 
        Da hörte er um zwölf Uhr einen großen Lärm auf der 
        Seite von Floruz. Ihn machte der Gurk mit seinen Hündlein, der daher 
        kam und den Müller zerreißen wollte. Dieser hat sich nicht 
        wenig gefürchtet, kehrte eiligst das Wasser ab und sperrte sich in 
        der Kammer ein. Dannach schrie der Gurk: "Hättest du das Wasser nicht 
        abgekehrt, hätte ich dich wohl anders gelehrt." Dann ist er mit seinen 
        Begleitern in's Euferthal gegangen. Dort war ein einsames Haus, in dem 
        drei Dirnen (Mädchen) wohnten. Diese waren noch wach, weil sie auf 
        ihre Liebhaber warteten. Als die älteste so viele Hund bellen hörte, 
        gieng sie vor die Thüre und rief: "Jäger von dem guten Gejaid, 
        tragt mir auch von eurem Wild zu." Im Augenblicke kam der Gurk mit seinen 
        Gesellen und hängte eine todte Hand mit vielen "Fingerlein" (Ringen) 
        an die Thür. Am nächsten Morgen sahen die Dirnen die Sache, 
        erschraken sehr und giengen beichten und erzählten die Geschichte. 
        Da sagte der Beichtvater zur ältesten: "Da hast eine große 
        Sünde gethan. Ein anderes Mal geh nicht bei der Nacht aus, sondern 
        bete und gehe schlafen. Zur Buße thue dieses: Heute Abends in derselben 
        Stunde nimm einen Kessel auf den Kopf, eine Katze in den Arm und ein Paternoster 
        (Rosenkranz) in die Hand und rufe: "Jäger vom guten Gejaid kommt 
        behend daher das Wild zu nehmen, für mich taugt es nicht." Die Dirne 
        folgte und that alles, was der Beichtvater ihr aufgegeben hatte.
        
        In der anderen Nacht kam wieder der Gurk und schrie: "Wenn du auf dem 
        Kopf nicht hättest den kupfernen Kessel und im Arm die schwarze Katz 
        und in der Hand die Noster, ich hätte dich getödtet und deine 
        Seele in die Hölle geschickt." Dies ist sein letztes Wort gewesen, 
        denn seitdem hat man den Gurk in Floruz nie mehr gesehen. (Floruz.)
        
        
        Quelle: Sagen aus Tirol, Gesammelt und herausgegeben 
        von Ignaz V. Zingerle, Innsbruck 1891, Nr. 4, Seite 2.