BERCHTLSAGEN AUS ALPACH
1.
        In der Gömachtnacht gieng einmal ein Thierbacher Bauer von der Oberau 
        heim. Es war kalt, daß bei jedem Tritt der Schnee unter seinen Füßen 
        krachte, denn der Himmel war glasheiter. So hell war es in dem Kopf des 
        Bauern aber nicht, er hatte im Wirtshaus unten mit lustigen Kameraden 
        ein bislein zu tief in's Glas geschaut, und weil er nicht selten, statt 
        einen Fuß vor den anderen zu setzen und zwischen den Ohren hindurch 
        der Nase nach fortzugehen, wie der umgehende Schuster drei Schritte vorwärts 
        und zwei rückwärts tat, so mußte er schon fein oft Athem 
        holen, bis er zur Breitenlechner Rastbank hinauf kam.
Es schlug eben zwölfe und er setzte sich nieder. Da hörte er aus der Ferne reden, viele Stimmen durcheinander; das kam immer näher und näher und gähling zog die Berchtl mit ihren Kindern gerade neben ihm vorbei. Das kleinste war zu hinterst, denn es hatte ein langes Hemdlein an und trat alleweil darauf, daß es am Fürbaßgehen gehindert wurde. Der Bauer hatte Erbarmen, er nahm sein Strumpfband und schürzte ihm das Hemdlein hinauf, dann setzte er sich wieder nieder. Da trat die Berchtl vor ihm hin und sagte ihm voraus, weil er so mitleidig und gut gewesen, werden alle seine Nachfolger tüchtig hausen und genug Zeug und Sach haben. Und wie die Berchtl prophezeit hat, traf es auch ein, und noch heutzutage erfreuen sich die Nachkommen jenes Bauern auf dem Hof "zu Hörbig" eines glücklichen Wohlstandes.

Alpbach, Alpbachtal, Tirol
        "Schönstes Dorf Österreichs" (1983)
        "Schönstes Blumendorf Europas" (1993)
        © Wolfgang Morscher, 4. Juli 2001 
        2.
        Ein Viertelstündchen inner der Kirche liegt gegen die Thalerkögel 
        und das Hösl zu am erlenbeschatteten Bache ein Dörflein, von 
        recht schönen Obstängern und Feldungen umgeben. Dort war einmal 
        am Gömachtabend beim Lederer Bauern, derweil die Mutter kochte, ein 
        Mädchen vor der Thür und häuselte (spielte) ganz allein 
        und war recht zufrieden dabei, denn Kinder haben selten Langeweile. Da 
        kam ein steinaltes Weiblein daher, - es war die Berchtl - und gieng zu 
        dem Kind hinzu und gab ihm einen verrosteten Vierer. Dieses lief geschwind 
        in die Küche hinein und gab ihn der Mutter. Diese that ihn zu ihrem 
        übrigen Geld und wollte dann dem Weiblein einen Küchel dafür 
        hinaustragen, aber dieses war nirgendsmehr zu sehen oder zu erfragen, 
        es war verschwunden mit Laub und Staub. Seit der Zeit schaute es bei diesem 
        Bauern aus, als wenn ihm Zeug und Sach durch den Kamin und die Fenster 
        hineinkämen, und auf seinem Gelde ruhte ein besonderer Segen.
        3.
        Im Innerthal, das von der Kirche sich gegen den Triftkopf und das Steinberger 
        Joch zurückzieht, heißt ein großes Bauernhaus "zu 
        Vögl." Dort ließ einmal ein BAuer den alten Brauch, am 
        Gömachtabend der Berchtl auf dem Tisch etwas stehen zu lassen, auch 
        dort noch nicht abkommen, als man es gar in vielen Häusern nicht 
        mehr that und viele nimmer an die Berchtl glaubten. Er sagte: "Bei 
        meinem Vater und so lang ich es denk, ist's immer so gewesen, warum sollt' 
        ich anders thun ? - Die Alten sind auch keine Narren gewesen; man soll 
        nichts ab- und nichts aufbringen." Mit dem aber war die Bäurin, 
        die im Außerland in die Schule gegangen war, nicht einverstanden 
        und wollte von solchen Märlein nichts mehr halten, und deßwegen 
        ließ sie auch der Berchtl nichts mehr stehen. Der Bauer sagte wohl, 
        sie werde aufstehen müssen kochen, sobald sie komme. Die Bäurin 
        aber meinte, bis die Berchtl sich sehen ließe, könnte sie noch 
        14 Tage nach der Ewigkeit im Bette liegen. Doch gar so lang hat's nicht 
        gedauert. Um Mitternacht kam sie mit ihren Kindern in die Kammer, wo die 
        Bauersleute schliefen, und die Bäuerin, die jetzt vor Schrecken zitterte 
        wie ein Laub, mußte in die Küche hinab und der Berchtl kochen. 
        Fortan hielt sie auch den alten Brauch gar fleißig und glaubte auch, 
        wie ihr Mann, daß man kein altes Herkommen abbringen solle.

Gasthaus Roßmoos, seit 12. Jhdt
        Alpbach im Alpbachtal, Tirol
        © Wolfgang Morscher, 4. Juli 2001 
4.
        Am Gömachtabend war es vorhin der Brauch, von allen Gerichten des 
        Nachtmahls einen Löffel voll dem Feuer zu geben. In manchem Hause 
        ließ man auch das Übergebliebene auf dem Tische stehen für 
        die Berchtl und ihre Kinder. Wenn alles schlafen war, kam sie dann und 
        aß. Da wollte sie einmal einer belauschen und legte sich unter den 
        großen Backtrog hinein, der unter der Bank stand, und guckte durch 
        eine Spalte heraus. Die Berchtl kam wirklich. Sie war ein meeraltes Weiblein 
        mit zerrütteten Haaren und trug ein so zerlumptes Gewand, daß 
        zehn Katzen nicht im Stande gewesen wären, darin eine Maus zu fangen. 
        Es waren auch viele Kinder bei ihr, Buben und Dirnlein, die hatten auch 
        gerade so zaunzerrissene Kleider an. Da sagte die Alte zum Jüngsten: 
        "Geh hin und verstreich dort die Spalte, wo der Wunderwitz außergafft." 
        Das Kind gieng zum Backtrog hin, fuhr mit dem Finger über die Spalte 
        und der Mensch d'rin war augenblicklich stockblind. Das hatte er zum Lohn 
        für die Neugierde, daß er Gespenster anschauen wollte, und 
        niemand konnte ihm helfen. Auf den Rat eines erfahr'nen Mannes setzte 
        er sich am nächsten Gömachtsabend wieder in den Backtrog und 
        klagte darin seine Not. Da kam wieder die Berchtl mit ihren Kindern, kostete 
        von den Speisen auf dem Tisch, und bevor sie gieng, sagte sie zum gleichen 
        Buben: "Geh zum Trog und thu' die Spalte wieder auf." Das Kind 
        gieng hin, blies durch die Ritze und der Blinde war wieder sehend, wie 
        früher. (Mitgeteilt von Peter Moser.)
        Quelle: Sagen aus Tirol, Gesammelt und herausgegeben 
        von Ignaz V. Zingerle, Innsbruck 1891, Nr. 29, Seite 17