Der Schwörstein

Auf dem Schwendberg trieb vor Zeiten eine zwölfköpfige Räuberbande ihr Unwesen. Ein alter Bauer wusste noch mancherlei davon zu erzählen. Er war in seiner Jugend den Lötern beinahe selber einmal begegnet. Als Hüterbub auf Bründling, einer Hochmahd mit einigen Asthütten, stieg er im Sommer viel herum in der Gegend. Einmal kam er über die so genannte "Nase" hinaus und gelangte an eine Stelle, die ihn unheimlich dünkte: zerklüftetes Gewand, Spalten im Boden und der Eingang zu einer riesigen Höhle. Der Bub fühlte sich beinah erlöst, als er auf dem Rückweg endlich das friedliche Geläut' der Kalbinnenglocken hörte.

Als er seinem Vater davon erzählte, klärte der ihn über den Ort auf. Er war bei den "Lundschröfen" gewesen, wo die Räuberbande ihr Lager hatte. Im Hintergrund der Höhle sind heute noch rauchgeschwärzte Steine von dem Feuer zu sehen, an dem die Galgenvögel gesotten und gebraten hatten. Ein kleines Stück unterhalb dieser Stelle liegt im Gelände ein großer, beinah völlig überwachsener Felsblock, der "Schwörstoan". Auf diesem Felsen hatten sich dereinst die zwölf Räuber versammelt und einen Meineid geschworen. Dabei erdreistete sich einer auszurufen:

"Wenn das nicht wahr ist, sollen wir auf der Stell' versinken!"

Kaum war es gesagt, als die zwölf mit den Fersen einsanken und den Stein hinunterrutschten. Die Spuren davon sind heut' noch zu sehen, obschon über den "Schwörstein" der Weg zum "Loach", einer anderen Bergmahd, hinausführt.

Die Schwendberger Räuber hatten von den Lundschröfen weg bis hinauf zu jenem Anger auf der "Loachaste", der heute "Freithof" heißt, einen unterirdischen Gang. Wie der zu seinem Namen gekommen ist, darüber gibt es in der Gegend bei den Leuten keinen Zweifel.

"Filzen" gleich oberhalb von Bründling ist, wie der Name vermuten lässt, kein besonders fruchtbares Gelände. Das Gras ist drahtig, der Boden sumpfig. Einst lag dort eine Alm, auf der einige Dutzend Kühe gutes Gras und fette Kräuter fanden. Da gab es Milch, Butter und Käse genug. Das hatten freilich auch die Räuber bald heraus, und dann war's vorbei mit dem reichen Almsegen. Die Strauchdiebe molken das Vieh jede Nacht leer und verschwanden vor dem Taggrauen mit der Beute.

Aber auch dieser Unfug fand sein Ende. Darüber weiß niemand Näheres, nur wo das Gesindel heute liegt, darüber gibt es keinen Zweifel: auf jenem Anger beim "Loach", den sie heute "Freithof" nennen. Der Wanderer findet dort zwölf unregelmäßig verstreute, teils überwucherte Steinhaufen, jeder etwa einen Meter hoch. Das sind die Grabmale der Räuberbande.


Quelle: Hifalan & Hafalan, Sagen aus dem Zillertal, Erich Hupfauf, Hall in Tirol, 2000, S. 99ff.