DIE SALIGEN AUF REISCH

Auf dem stattlichen Gehöfte Reisch außerhalb Zell im Zillerthal hielten sich zuweilen salige Frauen auf und bewahrten das Haus und dessen Bewohner vor jeglichem Ungemach. Der Bauer aber haßte sie dennoch und trachtete im Stillen beständig, sie von seinem Gute zu vertreiben. Einmal hatte nun der wilde Mann eine Salige in seiner Nähe von Reisch aufgestöbert und glaubte sie schon in seiner Gewalt zu haben, allein sie konnte gerade noch das Flachsfeld von Reisch erreichen, das er nicht betreten durfte. Da kam aber zufällig der Bauer daher und jagte die salige Frau aus dem Flachsfelde, dem wilden Manne entgegen; dabei rief er dem Unhold lachend zu:

"Die Holbe mir,
Die Hobe Dir!"

und gieng seines Weges. Als er aber heim kam, sah er die Hälfte der Saligen an einem Nagel an der Hausthüre hängen. Der Bauer entsetzte sich darob derart, daß er von diesem Augenblicke an keine gesunde Stunde mehr hatte. Auf Reisch hat aber seitdem niemand mehr eine salige Frau gesehen.


Quelle: Sagen aus Innsbruck's Umgebung, mit besonderer Berücksichtigung des Zillerthales. Gesammelt und herausgegeben von Adolf Ferdinand Dörler, Innsbruck 1895, Nr 2, Seite 2