Geister auf "Möslan"

Auf der "Möslaste" gingen mehrmals büßende Seelen um. Einmal gab es dort einen Geist, der dem Melker bei der Arbeit half, wo immer er konnte. Das Auffallende an ihm war, dass er außer einer Hose nichts am Leib trug. Als es im Herbst an die Heimfahrt ging, überlegte der Melker, wie er dem dienstbaren Geist für seine Hilfe danken könnte. Am besten werde es sein, dachte er, ihm für den Winter etwas Warmes zum Anziehen zu geben. Also schenkte er ihm beim Abschied einen Lodenjanker. Mit traurigem Gesicht nahm der Geist das Geschenk entgegen. Als die Leute mit dem Vieh zu Tal fuhren, hörten sie ihn noch lange Zeit klagen. Er hätte durch ein "Vergelt's Gott!" erlöst werden können.

Es war in einem anderen Sommer. Der Melker auf Möslan war gewiss kein furchtsamer Mensch, aber das allnächtliche Geigenspiel draußen vor der Hütte gab ihm doch zu denken. So oft er Nachschau hielt, zu sehen bekam er niemanden. Eines Abends, eiskalter Wind peitschte den Regen gegen die Fenster, ließ sich das Spiel wieder vernehmen. Wenn es am End' doch ein menschliches Wesen ist, dachte der Melker, dann erfriert es womöglich in der Nacht. Also nahm er sich ein Herz, trat vor die Tür und rief:

"Komm herein in die Stube mit deiner Geige und wärm' dich!"

Da betrat eine armselig gekleidete Gestalt mit einem hässlichen Gesicht die Hütte, sodass sich der Melker zu fürchten begann.

"Komm her und greif mich an!", forderte der Geist. "Dann bist du deine Angst los."

Der Melker tat's, und alle Angst verflog. Fortan blieb der Geist auf der Aste und machte sich nützlich, so gut es ging. Als die Zeit der Heimfahrt kam, begleitete der Geist den Melker mit dem Vieh noch hinaus bis zur "Ran". Dort blieb er stehen und sagte:

"Jetzt muss ich wieder zurück!"

"Dann sag' ich halt, Gott lohn' dir's tausendmal!", erwiderte der Melker.

Da war nur noch ein zufriedener Seufzer zu hören, vom Geist aber nichts mehr zu sehen. Die arme Seele konnte endlich in Frieden ruhen.

Wer zu Lebzeiten ein Unrecht begangen hatte, fand im Tod keine Ruhe. Seine Seele musste zurück auf die Erde und dort so lang "umgehen", bis sie erlöst wurde. So erging es auch jenem Burschen, der mit den Gottesgaben Schindluder getrieben hatte. Wenn vom Essen etwas übrigblieb, schüttete er es zur Tür hinaus, anstatt es wieder zu verwerten. Im Prassen war er Meister, aber das sollte sich rächen. Nach seinem Tod musste er auf die "Möslaste" zurück und dort herumgeistern, bis jemand das erlösende Wort fand.

Der Melker, der nach ihm auf der Aste das Vieh versorgte, hörte jede Nacht auf dem Dachboden über sich ein Geräusch, gerade so, als kehre jemand die Bretter ab. Sehen ließ sich der Geist aber nie. Eines Abends - der Melker hatte sich gerade sein Mus gekocht und wollte mit dem Essen beginnen - flog die Stubentür auf und der Geist trat ein. Er ging zum Tisch, schnitt das Mus auseinander und sagte:

"Das isst du, das ess' ich!"

Darauf setzten sich beide an den Tisch und begannen zu essen. Doch auf jedem Löffel, den der Geist zum Mund führte, verwandelte sich das Mus zu Kehricht, den er hinunterwürgte. Der Melker sah wortlos zu. Nach beendeter Mahlzeit ging der Geist zur Tür, drehte sich noch einmal um und sagte:

"Jetzt bin ich erlöst."

Dann verschwand er in der Nacht.

Quelle: Hifalan & Hafalan, Sagen aus dem Zillertal, Erich Hupfauf, Hall in Tirol, 2000, S. 108f.