Die versäumte Christmette

Auf einer Aste am Zellberg befand sich einmal ein Bauer mit fünfzehn Kühen. Das gab Arbeit genug für den ganzen Tag. Noch dazu war Winter, und das Vieh musste zweimal täglich durch den Schnee zur Tränke geführt werden. Am Heiligen Abend beeilte er sich mit der Arbeit, weil er früher fertig werden wollte. Er wusch sich, tauschte die verschmutzten Kleider gegen saubere und bereitete sich ein Abendessen. Dann saß er zufrieden auf der Bank neben dem wärmenden Feuer und paffte seine Pfeife. Da fiel ihm ein, dass an diesem Tag die Christmette gefeiert wurde. Er wäre gern dabei gewesen, der Weg ins Tal war ihm aber doch zu weit. So nahm er ein altes Buch aus der Tischlade und begann, darin zu lesen.

Die Uhr an der Hüttenwand schlug elfmal, der Bauer saß noch immer über dem Buch und hatte seine Gedanken bei der Geschichte statt bei der Mette. Endlich schlug die Uhr die zwölfte Stunde, und mit dem letzten Schlag begann in der Küche ein unheimliches Gepolter und Geklirre. Erschrocken sprang der Mann auf, um Nachschau zu halten. Wie angewurzelt blieb er in der Tür stehen, seine Knie schlotterten, die Haare standen ihm zu Berg. Zwar hörte man keinen Laut mehr, aber alles Geschirr lag in tausend Scherben zerbrochen auf dem Boden herum. Die Herdasche war auf Tisch und Bänke verstreut, die Butter war überhaupt nicht mehr zu finden.

Als sich der Bauer vom ersten Schreck erholt hatte, nahm er eine geweihte Kerze, zündete sie an und leuchtete zur Hüttentür hinaus. Es war aber nichts zu sehen außer dem dunklen Fichtenwald und dem glänzenden Sternenhimmel darüber. Da schloss der Bauer die Tür und schob den Riegel vor. Das Geschichtenbuch aber, das ihn von einem frommen Gedanken in der Heiligen Nacht abgehalten hatte, warf er ins Feuer und legte sich zur Ruhe.

Quelle: Hifalan & Hafalan, Sagen aus dem Zillertal, Erich Hupfauf, Hall in Tirol, 2000, S. 54f.