Der Burgstallschrofen

Ein paar hundert Schritte südlich vom Burgstall erhebt sich am Ufer des Zillers aus den Wiesen eine fast runde, mit allerlei Gesträuch bewachsene Bergkuppe. Kleine Wegkapellen begleiten den Wanderer auf die Anhöhe, wo eine kleine und schmucke Rundkirche steht. Von dem Schrofen, auf den sie gebaut ist, erzählt man Folgendes:

In Schwendau wird einmal ein Baum mit drei Wipfeln wachsen. Aus dem Holz dieses Baums wird man eine Wiege schnitzen. Darin muss ein Kind zu liegen kommen, das in einer Sonntagssonnwendnacht geboren ist. Wenn nach Jahren die Sonnwendnacht wiederum auf einen Sonntag fällt, muss das Kind um Mitternacht zum Kirchlein auf dem Burgstallschrofen gehen, dreimal um das Gotteshaus herumlaufen und dabei den Atem anhalten. Nach dem dritten Mal wird ihm eine glühende Schlange entgegenkommen, die einen goldenen Schlüssel im Maul trägt. Diesen muss das Kind ohne Furcht ergreifen. Darauf wird es im Fels eine Tür finden, zu der der Schlüssel passt. Hinter der Tür liegt ein unermesslich reicher Schatz, der dem Kind gehört.

Eine andere Sage weiß zu berichten, dass auf dem Schrofen dereinst ein Bub beim Kühehüten war. Plötzlich stand ein Männlein vor ihm, sagte:

"Wenn du der weißen Schlange den Schlüssel aus dem Maul nimmst, kannst einen großen Schatz heben," und verschwand. Es dauerte nicht lang, da schlängelte sich ein weißer Wurm duchs Gras, der einen goldenen Schlüssel im Maul trug. Der Bub jedoch getraute sich nicht, etwas zu tun. Nach einer Weile verkroch sich die Schlange wieder, und eine Stimme ließ sich vernehmen: "Auf dem Schrofen wird einst ein Baum mit drei Wipfeln wachsen. Aus dem mittleren wird eine Wiege geschnitzt werden. Das erste Kind, das in dieser Wiege liegt, wird den Schatz heben."

Quelle: Hifalan & Hafalan, Sagen aus dem Zillertal, Erich Hupfauf, Hall in Tirol, 2000, S. 88f.