Die Sage vom Untergange der Stadt Haidach

In grauer Vorzeit soll in der Nähe des heutigen Dorfes Wörgl im Unterinntale eine Stadt mit Namen Haidach gestanden sein, die vom jetzigen Schmelzwerk Haidach oder Kastengstatt bis zu dem auf den heutzutage noch bestehenden Gasthof am Möstelbühel sich erstreckte. Die lang hingedehnte Stadt stieß auf der Nordseite an den Innfluß, im Süden an die bewaldeten hohen Berge, hinter denen das liebliche Tal Wildschönau, oder besser Witschenau, liegt. Dasselbe soll früher da, wo gegenwärtig die Dörfer Niederau, Oberau und Auffach stehen, von einem düsteren See bedeckt gewesen sein, der ungefähr 4 Stunden lang war und die ganze Breite des Tales einnahm. In demselben hielt sich ein ungeheurer greulicher Drache auf. Da auch in Haidach wie damals überall in den Städten das Laster Überhand nahm und vorzüglich durch eine Abteilung römischer Soldaten, die dort stationiert war, gefördert wurde, ereignete es sich, daß der Drache, welcher sich in den Gewässern Wildschönaus aufhielt, anfing die Erde zu durchlöchern, bis er endlich den ganzen Berg durchgegraben hatte. Die Sonne stand hoch am Himmel, als sich die Wassermassen des Sees durch das große Loch, das der Drache gegraben hatte, ins Inntal ergossen und sich schonungslos auf Haidach wälzten. Die Ausbruchsspalte wurde immer weiter und wie ein Strom floß das Wasser hindurch, bis der See abgelaufen war. In 12 Stunden war die Stadt Haidach vernichtet, mit deren Erbauung einst viele tausend Hände beschäftigt gewesen sein mögen. Auch der Drache erlag vor dem Dorfe Kundl und verbreitete später einen verpestenden Gestank, als er zu verwesen anfing. Von der Stadt Haidach blieb kein Haus, kein Palast und kein Tempel mehr übrig, auch kein Mensch wurde gerettet;

Der verpestende Gestank des in den Felsspalten getöteten und dann verwesenden Drachen kostete aber den noch von der Flut übriggebliebenen Menschen das Leben; alle starben und nur zwei Leute sollen im Unterlande in einem Umkreise von 8 Stunden am Leben geblieben sein, die, voneinander getrennt, Menschen suchen gingen. (Erinnerung an die Pest, die besonders 1611 ziemlich arg gewütet haben soll.) -

Nach einer andern Version soll die Stadt Haidach versunken sein, und sehe man bei klarem Wasser noch, dann und wann eine Thurmspitze am (Boden ä la Vineta). Nach vielen Umwegen trafen sich die beiden - ein männliches und ein weibliches Wesen - auf dem hohen Joche am Übergange vom Notterberg zur Holzalpe bei dem Holzgitter, das in den Zaun eingeflochten, die Durchgangsstelle bildet. Unter Tränen fielen sich die beiden um den Hals und daher heißt das Gitter bis auf den heutigen Tag das "Halsgatterl." Von diesem Paar stammt die jetzige Bevölkerung von Wildschönau ab.

Joseph. Georg Schellhorn, † 1860

Häufig sind Sagen von ehemaligen Seen. Sie sind fast immer an Gegenden gebunden, wo größere Täler eine schluchtartige Verengung erleiden. Die Begründung schwankt in engen Grenzen. Der See wurde abgelassen und durch die hervorstürzenden Wassermassen wurde eine Stadt zerstört.

Quelle: Der Sagenkranz der Wildschönau, in: Heimat Wildschönau, Ein Heimatbuch, Dr. Paul Weitlaner, Schlern-Schriften Nr. 218, Innsbruck 1962, S. 125 - 155.