Der Tod und sein Weib

In einer lauen, stillen Maiennacht kam er, der große Sterb, auch "Schwarzer Tod" genannt.

Niemand wußte wie, woher und warum.

Das liebliche Wildschönauertal lag lenzumhaucht im Frieden seines Waldkranzes, von trotzigen Bergen und Felsbrüsten bewacht.

Ein feiner Nebelschleier hüllte die Millionen von Blüten in ihren Frühlingszauber, die mannigfaltigsten Wohlgerüche durchwürzten alle Klüfte und Winkel. Und in träumerischem Glück ruhten die Menschen.
Taleinwärts zog verstohlen ein sonderbares Paar, durch die engen Gassen und Steige schleichend, schleichend wie Gespenster zum nächtlichen Totentanz.

Es war der Sensenmann, der finstere Tod, mit seinem ebenbürtigen Weib, der Tödin.

Sein schlankes Gerippe in einen zerschlitzten Mantel gehüllt, trug er die Sense auf der Schulter, während seine Gefährtin den Rechen durch die Lüfte schwang.

Ganze Ernte sollte gehalten werden. Das Mondlicht träufelte in Silberschnürchen durch Busch und Zweig, noch herrschte heilige Ruhe.

Da -! Wer wagte es, die wundervolle Stille der Lenzesnacht zu stören? Das schwere Friedhofstor stieß einen entrüsteten Schrei aus und rüttelte die ahnungslosen Träumer aus dem Schlaf.

Die Schauergestalten schlichen grinsend hindurch. Nach allen Richtungen hielten sie Ausschau, eine unheimliche Gier trieb sie zur Eile.

Bald wurde der Plan für das Grauenswerk beraten. Abgeerntet sollte das ganze Tal werden, wie nie zuvor, niemand sollte diesmal entrinnen.

Totenköpfe © Berit Mrugalska
Totenkapelle von Oberau, Wildschönau
das Tafelbild (Christi Auferstehung) wird von echten Totenköpfen gerahmt
© Berit Mrugalska, 10. Mai 2005

Die Bäumlein fuhren geschreckt auf, als die Eule die unheimliche Kunde von Wipfel zu Wipfel, von Gehöft zu Gehöft trug.

Das Werk der Ernte sollte beginnen. Geteilt ward die Arbeit, damit keines dem lüsternen Streich entrinne. Der Tod wählte die linke Talseite, die Tödin schritt eilends den rechten Hang hinauf.

Die Sense zischte, und der Rechen krachte und ächzte. Wie reifes Gras fielen die Menschen, gezeichnet vom schwarzen Hauch. Der Tod wetzte seinen blanken Stahl - und weiter fiel Reih' an Reih', nicht eines blieb am Leben.

Nicht weniger eilig hatte es die Knochenfrau. Als ihre Arbeit vollendet schien und sie inne hielt, sah sie noch einen Jüngling am Leben.

Lüstern langte ihr Rechen nach ihm, da - es brach ein Zinken und der schlanke Bursche schlüpfte gewandt hindurch.

Er allein entrann dem Tode als einzig Überlebender des Tales.
Georg Hofer - Adolf Mühlegger

Quelle: Der Sagenkranz der Wildschönau, in: Heimat Wildschönau, Ein Heimatbuch, Dr. Paul Weitlaner, Schlern-Schriften Nr. 218, Innsbruck 1962, S. 125 - 155.