Von dem Lindwurm und dem Weltbrand
In der Wildschönau wurzelt die Furcht vor gewissen Tieren, aber auch die Verehrung solcher viel tiefer im Volke als der Glaube an die Heilkräuter.
Der Lindwurm in der Wildschönau
Wandbild an einer Hausfassade, Oberau
© Wolfgang
Morscher, 10. Mai 2005
Am meisten wird der Drache oder Lindwurm gefürchtet.
Sowie durch einen Drachen der Abfluß des Sees bewirkt wurde, der
vor Zeiten die Wildschönau bedeckte, so werden Tal und Bewohner auch
wieder durch einen Drachen zugrunde gerichtet. Aber dann bricht auch überhaupt
das Ende der Welt herein, das nicht mehr fern ist, wenn sich der Drache
einmal in der Wildschönau zeigt. Es war schon einmal ein Lindwurm
im Tal unter der Erde verborgen, der aber noch glücklicherweise beim
Ackern vom Pflugeisen getroffen und getötet wurde, bevor er groß
genug war. Dadurch, wurde das Ende der Welt noch hinausgeschoben. Der
gefürchtete Drache, heißt es, werde zu Agla, einem einsamen
Bauernhof, von einem siebenjährigen Hahne, der das Drachenei unter
der Stiege des Hauses legen wird, ausgebrütet und großgezogen
werden. Ist er herangewachsen, dann schwingt er sich hoch in die Lüfte
hinauf, und es fällt Feuer vom Himmel, wodurch die Wildschönau
und die ganze Welt in Brand gerät und zu Asche verbrennt. An dieser
Prophezeiung hält der Wildschönauer so fest, daß man im
ganzen Tal keinen Hahn sieben Jahre leben läßt. Als im achtundvierziger
Revolutionsjahr zufällig zu Agla ein Ei unter der Stiege angetroffen
wurde, das wohl eine Henne dort gelegt haben wird, entstand großer
Schrecken, und manches Mütterlein schüttelte den Kopf und prophezeite
den Weltuntergang. Aber damals ging's noch mit dem Schrecken ab.
Adolf Heyl
Quelle: Der Sagenkranz
der Wildschönau, in: Heimat Wildschönau, Ein Heimatbuch, Dr.
Paul Weitlaner, Schlern-Schriften Nr. 218, Innsbruck 1962, S. 125 - 155.
Siehe auch: Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, gesammelt
und herausgegeben von Johann Adolf Heyl, Brixen 1897, Nr. 48, S. 85f