Eine vielumstrittene "Geistergeschichte".

Geht man von der Kirche in Niederau hinüber zum Berglift, zweigt dort eine im Jahre 1959 erbaute kleine Straße ab, die in nördlicher Richtung zum Bachbett des Marchbaches führt. Das erste Haus jenseits des Baches ist das Neuhäusl. Verläßt man jetzt den Fahrweg und geht links am Neuhäusl vorbei, kommt man zu einem kleinen Holzhaus, zum "Kohler", dem Geburtshaus Dr. S. M. Prems. Wendet man den Blick von dort halbrechts gegen Nordost, erblickt man auf einer sanften Anhöhe ein schmuckes gemauertes Haus, die "Holztratt". Dieses Haus wurde von Michael Holzer erbaut, der ein weichender Sohn von der Sägmühle war. Er hat die gesamten Steine zum Bau in einem Korb - die größeren mit einer Kraxe - aus dem Bacbbett zur Baustelle getragen und mit seiner Frau das ganze Haus erbaut, nur gelegentlich von einem Maurer und einem Zimmermann unterstützt. 1867 wurde das erste Kind aus dieser Ehe geboren. Bald folgte das zweite und bei der Jugend der beiden war noch ein weiterer Kinderzuwachs vorauszusehen. Das kleine Anwesen vermochte eine größere Familie kaum zu ernähren, daher hielt Holzer Ausschau nach einem Anwesen, das er vielleicht käuflich und vor allem billig erwerben könnte.

Nun breitete sich gar nicht weit von der "Holztratt" der Hof zu Unterschwaiber aus. Dieser Hof war unbewohnt, weil es dort "Geisterte". Daß es nicht geheuer war, schreibt sich aus dem Jahre 1865 her. Merkwürdigerweise starben in diesem Jahre das Besitzerehepaar und ein Kind innerhalb 14 Tagen. Die Todesursache vermochte ich nicht zu ermitteln. Nur sei bemerkt, daß in diesem Jahre keine Seuche bemerkt
wurde. Am Leben blieb nur ein Knabe, Kaspar Wimmer, nachmals Bauer zu Hundsegg, den ich selbst noch gut gekannt habe. Das Anwesen kaufte nun der Hartlbauer Johann Kruckenhauser. Doch bewohnte auch er es nicht, das Vieh von Unterschwaiber wurde vom Hartlhof aus betreut. Schließlich pachtete eine Witwe Sillaber das Gut. Das war 1866. Bald fiel auf, daß die Frau langsam ihre Ruhe verlor und sehr schreckempfindlich wurde. Sie gab aber keinen Grund hiefür an.

Im Jahre 1866 dingte sie "Bauleute" für die Frühjahrsfeldbestellung. Die Bauleute sind meist Bauernsöhne, die mit Pferden und Pflug dorthin fahren, wohin sie gedungen werden. Sie dingte den Michael Holzer von der Sägemühle in Niederau, der sich mit dem Bruder der Rainerbäuerin, einem gewissen Gruber, zur "Bauarbeit zusammengetan hatte. An einem Sonntag fuhren nun die beiden mit Pflug und zwei Pferden gen Unterschwaiber, um am nächsten Tage mit dem Pflügen zu beginnen. Die Witwe wies ihnen eine Kammer an, in welcher zwei Betten standen. Holzer legte sich in das eine, während sein Arbeitsgenosse im Stall schlief, da Pferde in einem Stall oft unruhig werden, worauf, wenn sie nicht aus dem gleichen Stalle stammen. Das war allgemein so üblich. Der Mann im Stalle hatte sich schon gegen drei Uhr morgens mit dem Füttern zu befassen, das gut an zwei Stunden dauerte.

Während Holzer in seinem Bett lag, hörte er vom zweiten Bett her schnarchen. Da Vollmond war, war es auch in der Kammer ziemlich hell. Er erhob sich, um nachzusehen, wer denn da im andern Bett wäre, der so schnarchte. Er sah aber niemanden. Kurze Zeit hernach hörte er außer dem Fenster flüstern und glaubte, es seien der Wirt und der Bauer von Hinterungnaden hergeschlichen, um ihnen beiden den Pflug zu "verkeilen", was damals ein oft geübter Ulk war. Einen verkeilten Pflug wieder zurecht zu bringen, erforderte nämlich viel Zeit. Dann hörte er Pferde ums Haus traben und schnauben. Holzer blieb trotzdem im Bette, da er glaubte, die vor dem Hause wollten ihn nur herauslocken, um ihn dann mit Erdbrocken und Mistpatzen zu bewerfen, was auch ein beliebter Schabernak war. Am nächsten Tage kam dann Holzer in den Stall, um zu sehen, wie weit sein Genosse mit dem Füttern gekommen wäre. Die Pferde waren in übler Verfassung; sie waren erregt und unterbrachen oft das Fressen. Holzer tadelte den Gruber: "Hast doch 'vergebens' (d. i. nachlässig. Th.) gefüttert!" Worauf der andere zur Antwort gab: "Dann fütterst du morgen!" Am Montag pflügten sie den ganzen Tag und gingen dann abends zum Wirt, wo die Hochzeit des Stefan Sammer gefeiert wurde. Der Gruber schlief vor Trunkenheit auf den Tisch hinein, worauf ihm Holzer riet: "In Wirtshäusern schlafen tun wir nicht, gehen wir g'scheiter heim!" Auf dem Heimweg begegnete ihnen zwischen Unterschwaiber und Farber eine Gestalt, die beim Herannahen der beiden wilde Purzelbäume schlug und im Bach verschwand. Zu Unterschwaiber angekommen, legten sich die beiden in der Stube auf die Bänke. Der Gruber (Schreibname Sollerer) schlief gleich ein, Michael Holzer aber blieb wach und sah auf den vom Mond beschienen Tisch. Plötzlich wurde dieser von einer unsichtbaren Kraft auf- und niedergestoßen. Dabei hätte die Kraft zweier Männer dazugehört, den schweren Tisch auch nur langsam auf und ab zu bewegen, geschweige denn zu stoßen, daß das ganze Haus erzitterte, worauf sogar der trunkene Gruber wach wurde. Als endlich Ruhe wurde, schlief der Gruber wieder ein, während Holzer sich in den Stall begab, um zu füttern. In ihm war aber ein solches Grauen, daß er sich nicht zu bücken getraut hätte und wenn Kronentaler auf dem Boden gelegen wären.

Morgens erzählte er der Witwe Sillaber von den sonderbaren Erlebnissen. Ihr sonstiger Ernst vertiefte sich noch und sie gestand, daß nur wenige Nächte frei von solchem Spuk wären. Sie wolle auch nicht mehr länger bleiben. Nach der Herbstarbeit wollte sie den Hof verlassen, selbst wenn sie Reugeld zahlen müßte. (Sie verließ auch im Herbst 1866 den Hof.)

Im Feber 1867 heiratet nun Michael Holzer. Als er sich mit dem Gedanken trug, ein größeres Anwesen zu erwerben, dachte er auch an Unterschwaiber. Doch seine Erlebnisse daselbst ließen ihn jeden Gedanken an einen Kauf des Unterschwaiberwesens weit von sich weisen. Und so blieb er weiter auf der Holztratt.

Da geschah es einmal, daß er eine Kalbin molk, die sehr kitzlig war und daher nur langsam gemolken werden durfte, um sie nicht zu vergrämen. Während er so auf dem Melkstuhl saß, langsam die Kalbin melkend und dabei den Kopf an den Körper des Tieres lehnte, überfiel ihn ein "Wahrtraum". Mit diesem Worte bezeichnete man besonders bildhafte Träume. Er sah sich gegen Unterschwaiber gehen, das Anwesen näher zu besichtigen und gelangte in die Tenne. Dort sah er ein kleines Männchen, von dem ihm besonders auffiel, daß es einen altmodischen grünen Hosenträger trug. Das Männchen winkte ihm und forderte ihn durch eine Gebärde auf, mitzukommen. Er ging also hinter dem Männchen die Stiege hinunter. Das Männchen wandte sich gegen die Kammer gegenüber der Stube und bedeutete Holzer, mit ihm einzutreten. Der Boden bestand aus etwa 40 cm hoch aufgeschütteter Erde. Wortlos wies das Männchen mit zwingender Gebärde auf eine Stelle des Bodens in der nordöstlichen Ecke der Kammer. Holzer sah dort ein eisernes Kistchen. Holzer fragte das Männchen, ob es noch etwas auf Erden abzubüßen hätte, was das Männchen traurig bejahte. Holzer fragte weiter, ob und wie es zu erlösen wäre. Das Männchen entgegnete: "Wohl durch Kreuzmessen." In diesem Augenblick kam Holzer zu sich und fand sich wieder beim Melken der Kalbin. Dieser Wahrtraum wiederholte sich noch einmal. Jetzt faßte Holzer dies als einen Wink des Schicksals auf, das Haus zu betreten. Er sah nichts mehr, ging wie in seinem Wahrtraum die Stiege hinunter, wagte aber nicht, die Kammer zu betreten.

Trotzdem kaufte er im Jahre 1871 vom Hartl das Anwesen. Von dem unheimlichen Spuk blieben er und sein Weib nicht verschont bis zu seinem Tode 1916. Auch sein Sohn, der heute noch lebt, hat mir allerhand unheimliche Dinge erzählt. Wenn er nicht über 30 Jahre unter mir auf dem Kirchenchore gesungen hätte, der Taufpate meiner Kinder aus erster Ehe ist, hätte er mir nie etwas erzählt. Nur sein Vertrauen zu mir lockerte sein Schweigsamkeit über diese "Dinge zwischen Himmel und Erde, von denen sich unsere Schulweisheit nichts träumen läßt." Die letzte Nachricht, die mir zu Ohren kam, stammt aus dem Jahre 1944. Ein für den Hof zum Arbeitseinsatz verpflichteter Ukrainer verließ den Hof. Lieber würde er in ein Lager gehen und hungern, als noch länger auf dem Hofe zu bleiben. In der Nacht sei er bei versperrter Tür heftig an den Haaren gerissen worden. Der Bauer verzichtete darauf, den Knecht durch behördliche Intervention zurückzuholen. Ich habe selber mit dem Knecht gesprochen, er erzählte es mir genau so, wie mir es andere Leute erzählt hatten. Seither hat man nichts mehr gehört.

   Heinz Thaler, Niederau

Quelle: Der Sagenkranz der Wildschönau, in: Heimat Wildschönau, Ein Heimatbuch, Dr. Paul Weitlaner, Schlern-Schriften Nr. 218, Innsbruck 1962, S. 125 - 155.