Die Berchtl und das Kind

Einer Bäuerin Kind starb vor der Taufe. Nach dem Volksglauben mußte es mit den Berchtenkindern am Dreikönigsabend, geführt von der Berchtenmutter, zur Erde nieder steigen.

Im selben Hause befand sich auch ein Knabe, der vom Umgang der Berchtln am Rauchabend hörte. Er steckte sich selbigen Abend hinter den Ofen, um zu erlauschen, was sich da zutrage. Die Mutter hatte auf den großen Tisch eine Schüssel mit Milch und Nudeln gestellt, denn dies sollte die Ungunst der umziehenden Geister abwenden und ihr verstorbenes Kind der Ruhe in der anderen Welt zuführen.

Berchten dürfen aber nicht gestört werden und lassen ihren Zorn fühlen, wenn sie nicht bewirtet werden.

Da es dem neugierigen Knaben aber zu lange wurde, bis das Schauspiel begann, kroch er hinter dem behäbigen Stubenofen heraus, aß die Nudeln und trank die Milch aus. Dann ging er wieder seinem Versteck zu.

Um Mitternacht sprang auf einmal die Stubentüre auf und die Berchtenmutter trat mit einer endlosen Schar von Kindern in das Gemach. Langsam begaben sich die geisterhaften Gestalten zum gedeckten Ahorntisch. Aber da - die Schüsseln waren leer. Unwille und Zorn erfüllten die Berchtenmutter. Sie befahl ihren Kleinen, die Stube zu verlassen. Und sie stolperten zur Türe hinaus.

Eines aber guckte hinter den Ofen und rief: "Berchtenmutter, hinter dem Ofen brennen zwei Lichtlein!" Die Alte erwiderte: "Blase sie aus!" Da ward es dem Buben, als würden die Augen mit einer Nadel durchstochen. Und er war blind. Welcher Schmerz erfüllte das unglückliche Mutterherz, als es am nächsten Tag die traurige Feststellung machen mußte. Und so verging ein Jahr.

Als wieder Dreikönig nahte und die Sternsinger ins Haus kamen, erzählte sie diesen ihr trauriges Schicksal. Sie gaben ihr den Rat, den Knaben am Berchtenabend wieder hinter den Ofen zu geben, denn diese würden oft gut machen, was sie verschuldet.

Und dies befolgte die Mutter. Mit Bangen und Zittern wartete sie in der Küche ab, denn Berchten lassen sich nicht beobachten.

Da - es ging um mitternächtlicher Stunde wieder die Stubentüre auf und die Schar trat ein. Zufrieden erblickten alle den reichlich gedeckten Tisch, aßen sich satt und zogen freudig ab. Doch ein Kind blickte noch hinter den Ofen. Es zupfte die Berchtenmutter am langen Kittel und sprach: "Heute brennen da hinten keine Lichtlein mehr." Diese antwortete: "Zünde sie an!" Da berührte das Kind den Knaben und er sah fortan wieder. Als dieses bei der Tür hinaushuschte, erkannte es die Mutter, welche den Vorgang heimlich durch einen Spalt belauscht hatte. Und sie rief nach ihrem Kinde. Da war es von himmlischem Glanz umgeben und entwischte schnell in die Sternennacht hinaus.

    Adolf Mühlegger

Quelle: Der Sagenkranz der Wildschönau, in: Heimat Wildschönau, Ein Heimatbuch, Dr. Paul Weitlaner, Schlern-Schriften Nr. 218, Innsbruck 1962, S. 125 - 155.