Das Hippoldmandl

Um den Hippold, der gegen Krovenz und Fallruck zu in rötlichgelben Wänden und Schutthalden abstürzt und als Kopf vom Wattental aus erschaut wird, windet sich ein ganzer Kranz von Sagen. Das golden schimmernde Gestein legte die Vermutung nahe, der Kofel berge Schätze von Gold, und gar manchen trieb die Habsucht dazu, nach den vermeintlichen Reichtümern zu suchen und zu graben, und mochte der Teufel darauf sitzen.

Es wird nun erzählt, daß der Geißlerbauer, dessen Hof von Tux herauf zum Torjoch gestanden, das Geheimnis des Schatzfindens besessen habe. Im Hippoldskofel soll er eine Höhle entdeckt haben mit unermeßlichen Schätzen, und der Fund muß wahrhaftig gewaltig groß gewesen sein, denn zeit seines Lebens brachte der Bauer Gold um Gold aus dem Berge heim. Reichtum verdirbt die Menschen, sagt man; und beim Geißler hat es sich bewahrheitet. So rechtschaffen er vordem gewesen, das Gold machte ihn hartherzig und immer habgieriger und auf seine alten Tage so geizig, daß er alles Gold, das er besaß und weiter zutage förderte, in den Klüften des Hippolds versteckte. Dann, als es ans Sterben ging, wohl wissend, daß er sein unseliges Leben werde büßen müssen, bedingte sich der Geißler aus, man müsse ihn warm anziehen, damit er als Schatzhüter nicht allzusehr friere, denn am Hippold sei es bitterkalt. Er mußte es ja wissen.

So begrub man denn den toten Geißler in warmen Winterkleidern, wiewohl viele meinten, es war schade darum, denn ihm würden sie ja doch nichts nützen. Als nun nach dem Totentrunk die Leute vom Wirtshaus durch den trüben Herbsttag heimzu schritten, sahen sie den armen "reichen" Geißler über den Anger taleinwärts gehen. In den Kleidern, in denen er begraben worden war, stapfte er voran, langsam Schritt für Schritt, als ginge er einen schweren Gang. Dabei hielt er die Hände gekrümmt vor den Mund, blies und hauchte in sie hinein und stöhnte: "Hu, hu!" Und als die Leute erkannten, daß es ihn vor Frost schüttelte, kroch sie selber ein kalter Schauer an, und sie beeilten sich, nach Hause zu kommen.

Bald nachher erzählten Hirten im Tale, auch sie hätten den Geißler gesehen. Das "Hippoldmandl" nannten sie ihn, und der und jener glaubte bemerkt zu haben, das Mandl sei auf ihn zugegangen, als ob es ihn hätte anreden wollen. Doch keiner wollte es je an sich herankommen lassen.

Einige Zeit später geschah es, daß der Trögl-Peter unter den Hippoldwänden talaus wanderte. Stand da plötzlich ein altes Mandl an seinem Wege, rückte am Hute und redete ihn an: "Na, Peter, wohin denn so eilig?"

"Nach Lanersbach hinaus. Und eilig hab ichs, damit ich dem Geißler nicht in die Quere komme. Ich furcht ihn zwar nicht, weil er ja niemand 'was Böses antut, und wenns möglich war, tat ich ihn erlösen. Aber unheimlich ists dir doch, gehst du den Weg, auf dem dir jeden Augenblick seine arme Seel begegnen kann."

Darauf das Mandl: "Willst mich wirklich befreien, Peter ? Ich bins nämlich selber, der Geißler. Wenn du's tust, kriegst du mehr Gold als das ganze Tux da unten wert ist."

Zu seinem Schrecken erkannte da der Peter, wen er vor sich hatte. "Nein, nein!" nahm er ängstlich sein halbes Versprechen zurück. Gerade noch früh genug war ihm eingefallen, daß er an die Stelle des Schatzhüters treten müßte, wenn er ihn erlösen wollte. Und vorm Frieren hatte der Peter eine Heidenangst, nicht zu reden davon, daß er ja dann selber eine Arme Seele wäre.

Darauf ist das Mandl verschwunden, und der Peter hat nicht rechts noch links geblickt, sondern ist den Weg. schnurstraks weitergehastet, weg und hinaus aus den unheimlichen Wänden.

Seither haben viele Leute nach den Schätzen gegraben, die im Hippold verborgen sind, wie die Sage vom Hippoldmandl behauptet. Sogar von Augsburg sind einmal zwei Schatzgräber gekommen und verbauten viel, viel Geld; jedoch vergeblich. Wohl fanden sich viele klingende Steine, besonders im Umkreis des Roten Kofels; allein gaben die auch einen Ton, wie ihn Goldmünzen geben, so hat doch niemand je vermocht, aus den klingenden Steinen rotes Gold herauszuschneiden oder herauszubrennen.

A. Haag nacherzählt.

Quelle: Sagen aus Wattens und Umgebung; gesammelt von den Schulkindern in Wattens und Wattenberg. In: Wattener Buch, Beiträge zur Heimatkunde von Wattens, Wattenberg und Vögelsberg. Schlern-Schriften 165, Innsbruck 1958. S. 309 - 326.