Das feurige Roß

In den Wäldern und auf den Almen der Wattner Umgebung trieb sich vor Zeiten ein feuriges Roß um. Von dem ging die Rede, es zerstampfe jeden mit seinen schweren Hufen, der ihm nahe komme; und so geschwind sei es, daß es den heimlichen Späher im Nu erjage, und stehe er noch so ferne. Wer also sein Leben lieb habe, der laure dem Roß nicht auf und sehe sich beim Wald- und Almengang vor, daß er ihm nicht in die Quere komme.

Da geschah es nun einmal an einem Sonntagabend, daß in einem Wirtshaus, tief drin im Wattentale, ein Bäuerlein zur Türe hereingestürzt kam, totenblaß und schier außer Atem. Das stammelte, als es auf eine herzhafte Stärkung hin wieder zu sich kam: "Jetzt hätt' mich bald das feurige Roß zertreten. Kaum daß ich einen hellen Schein wahrgenommen, droben, auf dem Almgrund, und spähend ausmachen will, was das wohl sein mag, kommt es auch schon dahergejagt, daß die Funken stieben. Ganz wild wars und hat Feuer gespien aus dem Maul. War das Wirtshaus nur ein paar Schritt weiter weg gestanden, aus wärs mit mir gewesen!"

Sgraffito Rösser © Berit Mrugalska
Rösser, die gebändigt werden
Sgraffito an einem Erker in Wattens
© Berit Mrugalska, 27. Januar 2005

Saß da ein Bauer in der Stube, der war von Neugier rein besessen, und noch ehe das Bäuerlein seine Geschichte zu Ende gebracht, war er zur Türe hinausgesprungen, gewiß, er werde wenigstens eine helle Spur vom Feuergeist noch eräugen. Draußen aber war weit und breit nur schwarze Finsternis, und da beschloß er, auf die Alm hinaufzusteigen und dort Nachschau zu halten. Plötzlich hörte er sich angesprochen:

"Bauer, Bauer, laß ab von deinem vorwitzigen Vorhaben!"

Der Bauer verhielt den Schritt und spähte in die Runde, aber da war niemand. Schon wollte er seinen Weg fortsetzen, da hörte er die Stimme wieder raunen:

"Wagst du es aber doch, dann nimm etwas mit, was beißt, gleißt und schneid't. Dann wird dir das Roß weichen".

Der Bauer ließ sich die Warnung gefallen, ging nach Hause, holte seinen Hund, ein Gewehr und ein Messer und machte sich sodann wieder auf den Weg nach der Alm.

Es dauerte nun nicht lange, da sprang in der Finsternis auf einmal ein Feuerschein auf und wuchs und wuchs und jagte daher als eine große feurige Lohe. Der Hund bellte los und lärmte wie toll, und der Bauer hielt Gewehr und Messer der Flamme entgegen. Da stand sie still, und es war das feurige Roß und das sagte:

"Hättest du nicht, was da beißt, gleißt und schneid't, du wärst jetzt ein toter Mann!"

Jäh darauf verlosch der feurige Schein, die Nacht war wieder schwarz und leer wie zuvor, der Hund jaulte und der Bauer würgte an seiner Angst. Seither hat niemand mehr das feurige Roß gesehen.

Quelle: Sagen aus Wattens und Umgebung; gesammelt von den Schulkindern in Wattens und Wattenberg. In: Wattener Buch, Beiträge zur Heimatkunde von Wattens, Wattenberg und Vögelsberg. Schlern-Schriften 165, Innsbruck 1958. S. 309 - 326.