DAS BUCHMANDL

(Niedergeschrieben von Georg Opperer, 1924)

Von den Sagen um Wörgl hat sich die vom "Buchlmandl" daselbst am längsten von den Sagen erhalten. Von den Geistergeschichten über das Buchlmandl erzählt man sich heute noch, Krankheiten des Menschen und des Viehs wurden dem Spuk zugeschrieben. Feindschaften zwischen den Nachbarn und Familien wurden als sein Werk gedeutet, kurz alles, was die Menschen plagte, kam auf die Rechnung des Buchlmandl. Am Ärgsten spielte er dann mit wenn nächtlicher Zeit für einen Schwerkranken ein Geistlicher zu holen war. Dies zu verhindern, damit ein Sterbender ohne Tröstungen der Religion seinen Geist aufgeben müsse, darauf hatte es das Buchlmandl besonders abgesehen. Einmal aber, es war das letzte Vorkommen des Spukes, geriet das Buchlmandl auf einen Unrechten. Es war dies ein Zillertaler Namens Höllriegl, dessen Vater mit ihm beim Traubäck Zuflucht nahm, als die ausgewiesenen Zillertaler Lutheraner in Wörgl durchzogen. Dem Höllriegl packte das Heimweh damals, er wollte lieber katholisch werden als auswandern. Gegen Unterkunft und Atzung wurden die beiden beim Traubäck im Winkl in Dienst genommen. Dem Vater Höllriegl rieben die seelischen Eindrücke, die er zur Zeit der Luther Invasion im Zillertal erleiden mußte, auf. Ein unstillbares Heimweh dürfte zu seinem frühzeitigen Verfall beigetragen haben.

Unter seinem Nachlaß befand sich ein "Abschraufer"( zerlegtes Gewehr, das leicht versteckt getragen werden kann), den der nun 16 jährige Bub vom Zillertal aus noch gar wohl kannte. Mit dem Antritt dieses Erbstückes schien der Höllrieglsche Wildschützengeist auf den Jungen überzugehen. Es lebte die Leidenschaft des Vaters in ihm neu auf. Er schloß mit dem Treubäck einen Pakt, demzufolge Höllriegl umsonst an Knechtstelle dienen mußte, doch durfte es den Bauern nichts ausmachen, wenn der Knecht ab und zu einen Tag ausblieb. Über die in diesem Pakt sonst vereinbarte Dienste und Gegendienste zwischen Bauern und Knecht erfuhr niemand etwas. Doch es war ein offenes Geheimnis, daß der junge Höllriegl ein Wilderer war, der weithin alles unsicher machte. Von zuhinterst aus den Gründen der Kelchsau und Windau und den dazwischen liegenden Höhen holte er seine Beute. So nebenbei kam er in die Gegend um Schönanger, auf die Hundalm des Pendling und in das Achental. Weil ihm, wie alle Wildschützen, die ja gleich Katzen nie einen Arzt brauchen, den Vorteil zu eigen war, in den leiblichen Nöten ein Mittel zu wissen, galt er, trotz seiner Jugend, als etwas "hexenmäßig". Die Nachrede und sein unheimlicher Ruf als Wildschütz schufen ihm einen gewissen Nimbus. Man achtete ihn einerseits, andererseits war er gefürchtet. Jedenfalls wagte es niemand, ihm auf irgend eine Weise nahe zu treten. Das war der Höllriegl, an dessen Verwegenheit der Spuk des Buchlmandl zu Schanden werden sollte.

Eines Tages brachte man den alten Siller (richtig Sillober), einem Inwohner beim Boar im Winkl, todwund vom Berg nach Hause. Er war bei der Holzarbeit verunglückt. Siller war einer von denen, die sich die religiösen Pflichten selbst zurecht legen. Er blieb ganze Sommer hindurch da, wo er eben im Holz arbeitete, in einer Holzhackerhütte, ging nie zu Tal, Erfordernisse für Verpflegung und Kleider besorgten seine Mitarbeiter, die allsonntäglich dem Ruf der Kirchenglocken folgten und wohl auch, um Mensch unter Menschen zu sein, ins Dorf kamen. Wenn sie ihn zum Mitgehen einluden, hatte Siller immer die Antwort:

"Ich bet' meinen Hergott da heraust zwischen die Bam an. Er ist da grad wie in einer Kirche zwischen den Kerzenleuchtern."

Weil Siller auch sonst, wie schon erwähnt, über die Religion seine Ansichten hatte, war er lutherisch verschrien. Die Sorge um sein Seelenheil, als er nun auf der Mühle darniederlag, war daher unter den gutherzigen Winklern allgemein. Höllriegl, der zur Ersten Hilfeleistung an das Schmerzenslager Siller geholt wurde, gab sein Gutachten dahin ab, daß Siller wohl zach' sei wie ein juchtener Hosenträger, aber "d' Lungl sei zwischen den Rippen eingeklemmt und da wird's doch zum auszappl'n werd'n". Einen Geistlichen lehnte Siller beharrlich ab. Er sei mit seinem Herrgott schon handeleins, war seine Begründung dafür. Als aber im Laufe der Nacht Zustände auftraten, die nach menschlichem Dafürhalten als Anzeichen des nahenden Endes erkannt wurden, machte sich der Knecht vom Bauer auf den Weg, um den Vikari zu holen. Kaum hatte er das freie Feld betreten, sah er von weitem ein Licht. Dies schien immer näher zu kommen, sich zu vergrößern und näherte sich ihm in der Form eines mannshohen, glühenden Baumstumpfes. Der Knecht erinnerte sich des Buchlmandls. Eiskalt lief es ihm über den Rücken. Er machte kehrt und flüchtete nach Hause, wo er schweißgebadet und am ganzen Körper zitternd ankam. Er füllte sich so angegriffen, daß er sich sofort ins Bett legen mußte. Die alte Boarmutter riet auf einen Rank des Buchlmandl und besprengte den Geängstigten mit Weihbrunn. Auf ihr gütiges Zureden kam der Knecht mit seinem Erlebnis heraus. Sie sagte davon zu den anderen Leuten im Hause nichts, forderte aber dazu auf, daß "ein Anderes" zum Vikari gehen müsse, „weil's dem Knecht aufgnullt habe“. Nun ging der Bauer. Auch dieser kam in kurzer Zeit zurück. Es müsse noch jemand mit. Bei der Reib ins Dailnfeld stehe ein Mensch ohne Kopf. Das sei bestimmt das Buchlmandl, der den Vikari nicht zum Siller lassen wolle, damit er ohne Gnad sterbe. Das sehe dem Buchlmandl gleich. Wer sollte ihm trotzen? Da fiel einem im Kreise der Ratlosen der Höllriegl ein. Höllriegl befand sich gerade beim Siller in der Kammer und machte diesem Einreibungen und Umschläge.

Die Boarmutter übernahm es, ihn für den Gang zum Vikari zu gewinnen. Höllriegl erklärte sich bereit zu gehen, aber nicht dem Siller zum Trotz um den Vikari, sondern des Buchlmandl wegen. Er wolle sehen was dahinter sei. Er übergab den Siller der Obsorge der Boarmutter und belehrte sie, wie sie mit Arnika, den bereitgestellten Schmierben (Salben) aus allerlei Wildschmalz umgehen müsse und wie sie die Umschläge aus Heublumen und verschiedenen Kräutern anzuwenden habe, zog den Janker über und ging.

Unter der Haustür empfing ihn ein Windstoß, der ihn mit aller Gewalt die Haustür aus der Hand riß, daß sie krachend zurückschlug. Ihm selbst nahm der anhaltende Wind den Atem. Trotzig riß der Höllriegl die Haustür zu und drängte sich dem Wind entgegen, vor das Haus und einem kleinen Steig hinüber zum Fahrweg.

Im Treubäckanger, der am Ausgang des Weilers Winkl gegen Wörgl liegt, brach ein Ast von einem Baum, der krachend, knapp vor Höllriegl zu Boden fiel. Das geht ja gut, dachte sich Höllriegl, ging um den Ast herum, um wieder auf dem Weg zu kommen. Nun bemerkte er das berüchtigte Lichtlein, von dem er manches schauerliche Begebnis schon erzählen hörte. Das also ist das Buchlmandl, weg'n dem ist 's nicht der Mühe wert, einen "Blenagler" zu tun, spottete der Höllriegl, das hüpfende Lichtlein beobachtend. Das Licht zog aber immer wieder den Blick Höllriegls an. Das ärgerte ihn und schlußend lief er in hellem Zorn fluchend hinter dem Lichtlein her. Er wollte es einfangen, kam daher aber weit vom Weg ab und wieder zurück vor die Häuser um Winkl.

Nun besann er sich darauf, daß er dem Spuk aufgesessen sei, den er sollte ja zum Vikari gehen und nun war er wieder unverrichteter Sache hier. Ganz geheuer war ihm schon nicht mehr zu Mute, aber der Trotz hieß ihm den Weg neuerdings anzutreten. Diesmal lenkte ihn kein Lichtlein mehr ab, aber als er in der Nähe des Kreuzweges am Eingang des Dorfes kam, lag quer über den Weg ein schwarzer Sarg. Höllriegl wollte vorbei, aber der Sarg bewegte sich wie ein Wegnarr (Feuersalamander). Ein paarmal versuchte er, bald an der einen, bald an der anderen Seite vorbei zu kommen, aber der Sarg kroch, als ob er lebendig sei, ihm wieder vor die Füße. Höllriegl sprang, als alles nichts half, einen Juhuschrei ausstoßend, über den Sarg hinweg.

Nun löste sich der Sarg in Rauch auf, aus dem sich eine menschliche Figur formte, eine abenteuerliche Gestalt. Höllriegl glaubte einen Kreuzwegjuden vor sich zu haben. Die Gestalt stellte sich mitten auf den Weg, diesen wiederum versperrend. Mit einem Geist von Fleisch und Blut wollte es Höllriegl lieber aufnehmen. Er machte auch gleich Miene, ihn regelrecht "anzufliegen"(erstes Anfassen beim Raufen oder Rangeln), aber der Geist hielt abwehrend die Hände vor und begann zu sprechen:

"Das ist erst halbe Arbeit Mensch! Ich bin der Freirieder und wenn du mich erlösen willst, mußt du mir helfen, ebenso viele Seelen dem Teufel zu rauben, wie ich ihn bisher zugeführt habe".

Höllriegl fuhr ihn an:

"Wer du bist und was du z'tun hast geht mich nichts an. Aber ich muß zum Vikari, ihn zu einem Versehgang holen."

"Du mußt mich anhören" forderte der Geist neuerdings "Geh halt ge Dorf eini, vielleicht sind dort no Mahaschter ummer zum bekehrn, oder ins Zillertal zu die Lutherischen." Der Geist bat neuerdings: "Laß mich nicht auf halbem Weg zur Seligkeit stehn, hör mich an, daß es unter die Leut kommt, warum ich büße, gib mir Zeit und Ort dazu an, ich folge dir überall hin".

Höllriegl gab ihm, um Ruhe zu haben, die Weisung, ihn in der Gradlkapelle zu erwarten. Nun verschwand der Geist. Höllriegl ging zum Mesner, weckte dort, richtete die Botschaft wegen des Versehganges aus und begab sich auf den Heimweg. Siller erhielt die heilige Wegzehrung und starb dann gegen Morgen unter geistlichem Zuspruch.

Vom Buchlmandl sah man von da ab nichts mehr. Wohl aber war in der Gradlkapelle des Nachts ein Weinen und Schluchzen zu hören, dort wartete das halb erlöste Buchlmandl auf Höllriegl, der seiner vergessen zu haben schien. Dieser war nach Beerdigung des Sillers von Winkl fortgezogen. Seit jener Nacht war er noch stiller und versch1ossener wie ehedem. Hätte nicht sein Wildererunwesen von sich sprechen gemacht, man hätte ihn in Wörgl für verschollen gehalten.

Höllriegl war jedoch nur seinem Freibeuterevier näher gerückt und lebte dort ganz seiner Leidenschaft, dem Wildern. Im Kelchsauer Grund, sonnseitig, hoch oben in einer Brennhütte hatte er Zuflucht. Wo er seinen richtigen Wohnsitz hatte, wußte niemand. Er pendelte jahraus, jahrein zwischen Pinzgau und Tirol hin und her.

Einmal bezogen seine Brennhütte des Sommers über zwei lebensfrohe Weiberleut, Mutter und Tochter, die einander an Übermut nichts nachließen. Die Brennhütte wurde zum Zentrum der Geselligkeit unter den Almleuten. Manche Nacht wurde dort beim Branntweinhoangart zügellosester Ausgelassenheit verbracht. Bei einer solchen Gelegenheit wurde einmal der Fensterbalken von außen aufgestoßen und der leibhaftige Teufel reckte den Kopf herein. Alles erschrak zu Tode. Höllriegl aber faßte den Teufel mit einem raschen Griff an einem Ohr und hieß den einen oder anderen, der Schneid hatte, hinauszugehen, um den Teufel hereinzuholen. Schneid bekamen nun alle.

Der Teufel entpuppte sich als ein übelbeleumdeter Bursche aus der Hopfgartner Gegend, der es auf einen Diebstahl abgesehen hatte, wenn es ihm gelungen wäre, die Gesellschaft zu "vergrausen". Er bekam ungezählte Stockhiebe auf den Hintern und wurde dann von der Hütte hinausgeworfen. Aber mit der Unterhaltung war es aus. Selbst Höllriegl, der Held des Tages, war kleinsilbig geworden. Darum befragt, gab er, gewissermaßen zur Erleichterung, sein Abenteuer mit dem Buchlmandl zum Besten und fügte bei: Heut sei er durch dieses Erlebnis daran erinnert worden, daß der Freirieder in der Gradlkapelle auf ihn warten wird. Er gab auch seinen Entschluß kund augenblicklich nach Wörgl gehen zu wollen, um sein Versprechen einzulösen.

Nach drei Monaten kehrte er von dort zurück, die Haare ergraut, bis auf die Knochen abgemagert und mit wunden Füßen. Wo er sich inzwischen aufgehalten und was er erlebt, blieb sein Geheimnis. Er äußerte von da ab wiederholt den Wunsch, nun sterben zu können, und zwar wie ein Stück Wild.Bei einem Scharmützel mit Jägern wurde er angeschossen und erlag an Ort und Stelle der erlittenen Verwundung - wie ein Stück Vieh.

Am Buchlmandl wird er das Erlösungswerk ganz durchgeführt haben, wenn auch niemand weiß, wie dies zugegangen. Soviel ist gewiß, geistern tut es nicht mehr.

Georg Opperer in: Tiroler Heimatblätter, 1924; von Gottfried Opperer freundlicherweise zur Verfügung gestellt