Geschichten aus Thiersee

Die heutige unruhige, bewegte Zeit hat es wohl mit sich gebracht, daß sich die Geister zurückgezogen haben. Es geistert nicht mehr. Wer aber beim Hoangart hinhört, staunt, wieviel solche unheimliche Gestalten den Bewohnern, vor allem den nächtlichen Wanderern, das Leben unheimlich zu machen wußten.

Da war der Dreimühleigeist, der in den Mühlen zwischen Hinter- und Vorderthiersee hauste. Ging der schneidige Wastl von seinem Diandl am See heim zur Klammache. Der Boden war schon fest gefroren und ein frisch gefallenes Stäubchen Schnee bedeckte den Weg. Da hörte er in dieser klaren Nacht die kräftigen Schritte eines Mannes. Wastl wußte, das konnte nur sein Freund Sepp sein, der den Heimweg in umgekehrter Richtung zu machen hatte und versteckte sich bei den Mühlen hinter einem Baum. Er hörte das Vorbeistampfen, sah aber kein lebendes "Wesen. Am Weg war der Schnee unversehrt, keine Spur zeigte sich. Das konnte nur der Dreimühleigeist gewesen sein! Ein andermal gingen drei Burschen zu nächtlicher Stunde in übermütiger Laune an den Mühlen vorbei. Mit den Worten: "Wenn du drinnen bist, Mühleigeist, dann fang zu arbeiten an", höhnten sie. Doch, o Schreck, in der Mühle fing es an zu schlagen, als ob der volle Betrieb begänne. Gasselbuben sahen einmal auf dem Balken der Mühle eine schwarze Katze. Ein wohlgezielter Schneeballen zeigte das wahre Wesen des Tieres. Nur rascheste Flucht konnte den Schützen vor den Krallen des Geistes retten.

- Beim Kran-Gatterl war oft ein Geist, ähnlich einer Menschengestalt, zu sehen. Er war nicht böse, doch verursachte sein Auftauchen großen Schrecken. Ging einmal ein Kranerer gut aufgelegt bei Nacht von Hinterthiersee heim zum Bauernhof Kran. Er hatte ein Ochsenkummet mitzutragen. Als er zum Gatterl kam, war der Geist wieder da. Das ärgerte den Kranerer und er schlug den Geist mit dem Kummet über den Weg hinunter. Seit dort blieb dieser Geist verschwunden.

- Am Sonnberg wird erzählt, daß dort die Privatwälder früher höher hinaufgereicht hätten als heute. Es waren eines Tages die Marksteine ausgegraben und den Berg hinuntergekegelt worden. Bei der Neuvermarkung sollen die neuen Steine weiter herunten gesetzt worden sein, so daß die Bauern Wald an das Ärar verloren. Man beschuldigte einen ärarischen Arbeiter der Tat. Und wirklich, als der Verdächtigte gestorben war, hörte man ihn immer wieder an der alten Grenze klopfen. Die Leute sagten: "Nun muß er wieder Markstempel schlagen, der Sunnberggeist."

- An der Trogwand, am Weg vom Jochberg nach Riedenberg, war häufig ein Lichtl zu sehen, das den Weg auf und ab ging, aber nie "böse" wurde.

- Auch der Geist am Dreibrunnenjoch war nie "zwider", aber sehr unheimlich. Meist erschien er ohne Kopf, oft trug er ihn unter der "Iaxn" (Oberarm). Die Leute kamen, wenn sie seiner ansichtig wurden, immer zum Laufen. Es wird erzählt, daß ein Schulmädchen vom Schröcken das Mittagessen über das Joch zu seinen Leuten trug, die in der Langkampfner Au mit der Heuarbeit beschäftigt waren. Im Körbl lagen Krapfen, in einer Kanne waren Fisolen. Als das Diandl einen Loder sah, der nur der Geist sein konnte, fing es an zu laufen, stürzte und, das Essen lag am Boden. Der Loder entpuppte sich als ein bekannter Thierseer. Gemeinsam wurde das Essen wieder in Körbel und Kanndl verstaut. Den Heuarbeitern in der Au schmeckten die Krapfen recht gut, nur konnten sie nicht verstehen, warum in den Fisolen so viele Steinchen waren.

- Beim Müllnerbauern war eine Kammer etwas unheimlich. Jeder, der in diesem Raum schlafen sollte, wurde darauf aufmerksam gemacht. Wer schon mehrmals die Nächte drinnen verbracht hatte, gewöhnte sich daran. Als ein neuer Tagwerker beim Einschlafen war, kam ihm vor, als ob sich jemand über sein Bett gebeugt und ihn angeschaut habe. Der andere, der schon längere Zeit in dieser Kammer schlief, hatte den Geist auch bemerkt und sagte bloß: "Das war die Nondl!" Diese Frau war schon lange tot. Sie war kein böser Geist.

- Auch in der Schinderhüttn beim Maurertunei geisterte es. Da mußte einst der Pletzerschneider einziehen, da er kein anderes Quartier fand. Er war ein Original, sehr gesprächig, hatte aber nie Geld, da er alles vertrank. Er war auch stark des Wilderns verdächtig. Bei einem anregenden Gespräch im Landlwirt fertigte er den Forstmeister mit den Worten ab: "Forstmoasta geits mehra, oba Pletzaschneida nur oan!" Dieser Pletzerschneider mußte also in der Schinderhütten einziehen. Sein erstes war, daß er in das Weihbrunnkrügl Weihwasser goß. Aber kaum waren die ersten Tropfen drinnen, begann es in der ganzen Hüttn zu rumpln. Der Schneider wußte vom Tatbestand, riß die Tür auf und schrie: "Verfluchter Teufel, schau daß außi kimmst!" Seit der Zeit war Ruhe im Hause.

- Daß sich am Pendling eine Goldtrupfe befindet und am Larchberg ein Wunderbrunnen, ist nur mehr vom Hörensagen her bekannt.

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Vom Brauchtum gehört viel der Vergangenheit an. Man spricht noch vom "Peaschtn gehn" um Dreikönig. Diese Perchten trugen aus Holz geschnitzte Masken mit Hörnern. Bei ihrem wilden Herumhupfen in der Stube warfen sie mit diesen Hörnern am Tram hängende Sachen herunter. Zum Schluß wurden die Weiberleut belästigt, dann verschwand die Bande. In Vorderthiersee soll es einen Schnitzer gegeben haben, der besonders grausige Masken zu schnitzen verstand. Einstmals ließ sich ein neuer Pfarrherr dieses Treiben vorführen und trat dann energisch gegen dieses wilde Tun auf. Übrig blieben für eine Zeit die "Krapfenpeaschtln", verkleidete Personen, die besonders um Krapfen bettelten. Seit der Jahrhundertwende hörte man auch von diesen nichts mehr.

- Die Gewitter sind heute noch so gefürchtet wie ehedem. Um die Wetterwolken zurückzutreiben, schwenkt man ein Säuglingspfoadei in Richtung der heranziehenden Wolken. Bei einem grausig herschauenden Wetter wird ein größerer Hafen vor das Haus gestellt. Über seine Öffnung legt die Bäuerin ein geweihtes Palmzweigl und kreuz darüber ein Messer mit der Schneide nach oben, die Spitze zum Wetter gerichtet. Haus und Feld bleiben so von Hagel und Blitz verschont.

- Es kann vorkommen, daß man in einer Küche auf dem Herdrand ein etwa kopfgroßes Rasenstück liegen sieht. Da hat wohl eine Kuh an einem Bein den "Schwund". Wenn weder Pflaster noch der Tierarzt die zunehmende Verkümmerung des Beines aufhalten können, dann greift man zum letzten Mittel: "Wasnausstechen". Anscheinend sind die Leute in der Anwendung dieses Mittels sehr sparsam. Die Kuh wird nun aus dem Stall geführt, das Rasenstück, auf dem der "dalige Haxn" steht, sorgfältig ausgestochen und auf die Herdplatte gelegt. Sobald die Erde und die Gräser auf dem Herde vollkommen trocken sind, wird auch das Bein der Kuh heil sein. Das "Wasnausstechen" scheint ein allgemein bekanntes Mittel gegen schwer heilende Bein- und Klauenwunden zu sein. So tritt bei älteren Kühen manchmal eine Erkrankung der Füße auf, "Mauk" genannt, bei der sich zwischen den Klauen eine stinkende Nässe bildet. Man läßt das Tier auf einen Rasen treten, sticht um die erkrankten Klauen den "Graswasen" aus und hängt dieses Stück in den Rauch des Kamins. Wenn der Wasen eingedörrt ist, wird auch die Mauk geheilt sein.

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Ein großer Teil der Bewohner von Thiersee ist "im Holz" beschäftigt. Das war schon immer so. Doch hat sich auch hier viel geändert. Ohne Gebet wurde früher nie zur Arbeit gegangen. In der Früh, vor dem Auszug aus der Hütte, veranlaßte der Meister, daß ein Vaterunser gebetet wurde, so auch beim Ausrücken nach dem Mittagessen. Am Abend beteten die Holzhauer den Holzknechtrosenkranz und den Englischen Gruß. Bei diesem Rosenkranz wurde zu jedem der fünf Geheimnisse nur ein Vaterunser und Ave Maria gebetet. Er dauerte also nicht lange. Zum Essen gab es in der Regel morgens Kaffee oder Schmarren, mittags einen fetten, "wiachen" Schmarren, abends Preßknödln, Braterspatzen oder Kartoffelgulasch, alles von den Holzarbeitern selbst gekocht. Bei Verletzungen, besonders durch das Hacken, wurde die Wunde mit einem Kautabakblatt bedeckt und dann mit einem Tuch verbunden. Das schützte bestimmt vor Infektion. Man konnte auch die Wundränder mit der giftigen Einbeere einreihen und die Wunde mit den Blättern der Einbeere bedecken. Der feine Bast einer Fichte erfüllte den gleichen Zweck. Heute steht natürlich keimfreies Verbandzeug zur Verfügung. Von den vielen Tagen, an denen früher schwer brennbares oder nichtschwindendes Holz u. dgl. geschlagen wurde, ist noch der Silvestertag bekannt. Holz, an diesem Tage geschlagen, schwindet nicht. Es gibt Holzhauer, die alle guten und schlechten Schlägerungstage aufgeschrieben haben und sie als Geheimnis für sich behalten.

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Wir sehen, daß auch heute noch viel des Alten bekannt und lebendig ist. Es hat sich nur vor dem grellen Schein der Jupiterlampen in den Ofenwinkel zurückgezogen!

Quelle: Ludwig Weinold, Geschichten aus Thiersee, in: Tiroler Heimatblätter, Heft 1 / 3, 1960, S. 24 - 26