HEUSCHRECKENZÜGE IN TELFS - 1695

Der junge Türken15 schaute schon eine Spanne16 hoch aus der Erde hervor. Die Bäuerinnen waren auf die Felder gegangen, um in drei Ecken des Ackers geweihte Palmzweiglein eine zwerche Hand17 tief in die Erde zu stecken, um böse Geister und Hexen abzuwehren und solche, die etwa schon im Acker waren und ihr Unwesen trieben bei der vierten Ecke herauszujagen. Zusätzlich würden die geweihten Zweiglein auch Segen für die Feldfrüchte bringen. Die alte Wagnerin wollte eben mit einem Büschel Kabispflanzen18 auf ihren Acker gehen, um sie einzusetzen. Kabiskraut schmeckt gut zu Gselchtem, zu Blattl'n, zu Knödln oder zu gut geschmelzten Erdäpfeln. Von weitem sah sie schon den Boten-Mundl19 daherkommen, ein halbes Dutzend schwere Ketten und ein Kummet20 auf den Achseln tragend, den großen Zapin21 als Gehstecken benützend. Mundl war eine g'fürchtlige Gestalt, aber von gutem Herzen. Ein großer, schwarzer Vollbart und ebensolche Augenbrauen prägten das dunkelbraune Gesicht, das ebenso selten Wasser zu sehen bekam, wie die stets trockene Zunge zu kosten. Er war überaus groß, breitschultrig und kräftig. So musste er als Bote sein, hatte er doch allzu oft schwere Kisten, Ballen und Fässer auf seine hohe Botenfuhr hinauf- oder herabzuheben. "Wagnerin, brauchsü nit auf den Åcker gien und gar no eppas setzn, huira weart decht nicht!"

"Jå, sall war nit hantig22", entgegnete die Angesprochene, "warum soll denn nichts wåchsn; gibt's öppa wieder a Trockenheit oder kemmen schiache Wetterer?"

"Nua, nua, olls deis it", entgegnete Mundl, den Schweiß mit der breiten Hand von der Stirne wischend, "dös åls it, oba d'Heihupfer kemmen huira und freßn ålls zåm. Da Kufstoaner Bot håt mir derzeilt, dass im Sålzburgischen und weit außi im Boarischen ålls derfreßn sei; it amol a Grilla kannsüt fuatern. Ålls isü hin, bei Putz und Stiel. Und nåch ålleweil kemman gånze Schwarm söller Viecher."

"Verschone uns, o Herr! Nåcher gibt's huira gwiß a schreckligs Hungerjåhr, die årmen Leit, deis årme Viech!"

"Jå, jå, a Hungersnot gibt«s, åber, Wagnerin sei nua it verzågt, då sein nu olm mir Botn då, die Lebensmittl und ålls, wås må braucht, zuachabringen; fåhrt ma hålt um amol öfter d' Wochn auf Sprugg23. So, i muaß jetzt wieder gien, woasüt, des Zuig, aufm Buggl isü fei schwar!" Betend hatte die Wagnerin den Acker erreicht, wo wollte sie mit den Kabispflanzen auch sonst hingehen. "Vielleicht wird es etwa doch nicht so, wie Mundl erzählt hat, und von Salzburg bis Telfs ist es weit, da können noch viele solcher Sauviecher zugrunde gehen", dachte sie still bei sich. Kaum eine Woche später aber kamen bereits kleinere Schwärme von Heuschrecken und alles musste Jagd machen auf diese unliebsamen Gäste. Auf den Feldern sah es bald wüst aus, alles Gras war zertreten, der Türken war zu Boden getrampelt, nur die Kartoffelstauden standen noch. Immer lauter wurde das "Snsnsnsnsns", der Schwarmton der Tiere, und immer lebendiger wurden die Felder und Wiesen. Bald kamen sie in die Hausgärten, auf die Straßen und Wege, ja sogar in die Wohnungen drangen sie ein und belästigten Bewohner und Haustiere. Überall krabbelten sie hinauf und hüpften herum, diese grau- bis grasgrünen, unten fleischrötlich oder gelben Insekten mit ihren gläsern wirkenden Flügeldecken. Alle Bewohner mussten auf Feldern und Wiesen Gräben und Gruben ausheben, Männer und Frauen, Greise und Kinder mussten mit Rechen hinaus, um die Tiere in diese Vertiefungen zu bringen, sie mit Reisig zuzudecken und rasch zu verbrennen. Hatte ein Schwarm eine Reihe von Feldern kahl gefressen, erhob er sich und flog wieder auf Nahrungssuche aus. Und tatsächlich waren ihrer oft so viele, dass sie für eine Zeit lang die Sonne verfinsterten. Wo sie sich niederließen, wurde alles bis tief an die Wurzeln abgefressen. Die Menschen waren machtlos. Morgen sollte wieder einmal Mundls Botengang sein. Diesmal verdunkelten seine schwarzen Augenbrauen sein Gesicht noch mehr als sonst und wo er ging und stand, stampfte er mit seinen breiten Schuhsohlen in die hohen Heuschreckenhaufen.

"Tuiflsviecher, die verdammtn; i muaß morgn auf Sprugg, darf åber nit zu schwar auleign, sisch derziachn's die Roß nimmer durch die Heihupferhaufn."

Schon um ein Uhr früh fütterte Mundl die Pferde, immer wieder im Roßstall Heuschrecken zertretend und von den Pferden abwehrend. Um halb drei Uhr wurde eingespannt, kaum dass der Tag graute. Die heutige Allee gab«s noch nicht, die wurde erst viele Jahre später erbaut, und so führte die Straße nach Sprugg durch die heutige Kirchgasse, Saglstraße über den Spridrich bis zu der Stelle, wo heute der Weg nach Mösern anzusteigen beginnt, den Waldrand entlang zum Moosbauern, über den Längenberg zum heutigen Spetzlbauern im Platten und immer so weiter.

"Jetzt in Gottsnåm, Mander - hü!" Die Zugstränge spannten sich, die Räder knarrten, doch fast unhörbar war das Stampfen der Hufe und beinahe lautlos liefen die schweren Räder über den sonst steinigen Boden - war ja die ganze Straße ein und zwei Spannen tief mit Heuschrecken bedeckt. Immer mehr Kraft mussten die gut genährten Pferde aufwenden, um bis zum ersten Kalkofen zu kommen, denn an manchen Stellen reichten die Insekten bis fast zur Achse des Wagens. Als Mundl gegen den zweiten Kalkofen kam, musste er sich eine Kranewittstaude abbrechen, um den Pferden das heraufkrabbelnde Ungeziefer abzuwehren. Doch das nützte gar nichts, die Pferde wurden wild, rissen an den Zugsträngen wie toll, nüsterten, stiegen und drohten die Ladung umzuwerfen. Die Durst leidenden Heuschrecken waren den Pferden sogar in die Nüstern gekrochen, um ein bißchen Naß. Mundl musste ausspannen und trachten, mit harter Not die Pferde heimzubringen. Als Mundl seiner Behausung nahe war, wollte er vor dem Wagnerhaus mit der Peitsche noch einen tüchtigen Schnöller ablassen, da kam gerade der älteste Bub heraus, kopfhängend, mit rot geweinten Augen. "Seppl, wo fahlt's hait?" - "Vater, d' Muater isü haind di Nåcht g'storb'n!" - "Herr, gib ihr d'ewige Ruah", und beinahe hätte der harte, starke Mann eine Träne vergossen.


Quelle: Mei'r Huamat, Marktgemeinde Telfs, 1997
© Der Text wurde dem Buch "Mei'r Huamat" entnommen. Alle Rechte liegen bei der Marktgemeinde Telfs, Untermarktstr. 5 + 7, A-6410 Telfs. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden."