Das wilde Schloß im Kaisergebirge

Von Ellmau aus führt ein schlechter Fahrweg, später Fußweg, über die Wochenbrunner Alpe zur Gaudeamushütte. Etwas weiter, zirka 5 Minuten gegen Süden am Wege zum Ellmauer Tor sieht man ein ungeheures Felsenmassiv mit Türmen, Spitzen, Höhlen und Balkonen. Das ganze Gebilde sieht schloßartig aus und wird allgemein das "wilde Schloß" genannt.

Der Sage nach war dort eine Prinzessin verbannt. Jäger, die dort Gemsen nachjagten, hörten oft winseln, und wenn sie dann nicht sofort von der Jagd abließen, passierte ihnen ein Unglück. Ein Wilderer, der einstens im wilden Schloß den Gemsen nachging, hörte laut winseln und sah gleichzeitig auf einer Kuppe eine Gemse mit weißem Kopf. Keine Gefahr fürchtend, schoß er sofort auf dieses seltsame Tier. Der Schuß brachte diese Gemse zum Falle und an dessen Stelle stand eine weißgekleidete Dame. Gleichzeitig begann es im Schlosse fürchterlich zu krachen, so daß sich der Schütze vor Schreck nicht von der Stelle bewegen konnte. Ein großes Tor öffnete sich. Die weiße Frau schwebte zum Jäger herunter und führte ihn in die prachtvollen Räume des Schlosses und zeigte ihm eine mit schwerem Golde gefüllte Truhe. Zum Danke für die Erlösung konnte der Schütze vom Golde nehmen, was er tragen konnte.

Die Dame geleitete ihn dann bis zum Ausgange, wo sie verschwand und das Tor sich knarrend schloß. Bergsteiger besuchen heute noch das sehr leicht zugängliche "Wilde Schloß".

Ludwig Wex, Oberlehrer in Ellmau

Quelle: Tiroler Heimatblätter 1. Jahrgang 1923, 1. Heft, Seite 10.