Verhexte Milch
Ein müder Wanderer, betrete ich die rußige Almhütte zu Mutterberg. Der Senne schürt gerade an seinem Feuer.
Grüeß Gott! lautet sein freundlicher Gruß, Heut â amål då heroben?
Er rührt indes mit hölzernem Löffel das Muas ohne mich weiter zu mustern. Kann ich vielleicht heute bei euch übernachten?
Warum nit, wenn enk Heu und Stroh zur Liegerstatt guet gnuag ist?
Könnt ich vielleicht auch etwas zum Essen bekommen?
Über das lodernde Feuer hinweg schnitt mir der Senne, dessen Alter schwer zu bestimmen gewesen wäre, ein komisch-ernstes Gesicht zu.
Na, na, a Schnapsl und an Butter und a Brot kunts håben - aber wias mit dem Müasl da geht, dös woas der liebe Herrgott und Seppeles Gretl!
Erstaunt über den dunklen Sinn des letzten Teiles seiner Antwort schaute ich in das sonnenverbrannte, mit tüchtigem Ratzen [Schnurrbart] geschmückte Antlitz des Alten, dessen Augen jetzt aber prüfend das Muas visitierten. Endlich nahm er die Pfanne vom lodernden Feuer, stellte sie auf den aus Steinen erbauten Herd nieder und seufzte beinahe:
Sehns Herr, dö Milch ist verhext; heut war Seppeles Gretel betteln da auf'n Kâser und i bin just nit gut auf gewesen und da hab is sie über die Hütten gejagt und nachher hat mir das vergebene Weibsbild die Milch verhext. Da kunnt i rühren bis zum jüngsten Tag, es blieb olm lauter.
Quelle: Verhexte Milch, Greußing, Sagen
und Gebräuche aus dem Stubaital in Tirol, ZfVk. 3, 1893, 170 zit.
nach Will-Erich Peuckert, Ostalpensagen, Berlin 1963, Nr. 140, S. 84f