DER KOPFLOSE

Begibt man sich in der hl. Nacht während des "Schreckläutens" in die Kirche und betet daselbst, so kann man bald sehen, wie ein Zug Opferläute sich durch das Schiff in das Presbytherium hineinbewegt und um den Hochaltar herum- und auf der anderen Seite wieder hinausgeht. Das sind Leute, welche im künftigen Jahre sterben und zwar in der Reihenfolge, wie sie eben zum Opfer giengen. So verfügte sichvoralters jemand - nach der gangbarsten Erzählung war es der Langestheier Meßner selbst - in die Kirche, trat in den Chorstuhl und betete daselbst eine Zeitlang. In Bälde wurde es auf der Empore und im Schiffe der Kirche lebendig und sogleich trat ein Zug Opfernder in das Presbytherium herein , gieng um den Hochaltar herum und auf der anderen Seite wieder hinaus ins Schiff, wo dann die Gestalten plötzlich verschwanden. Der Meßner erkannte sofort die Personen in dem Zuge, nur der letzte Mann, weil ohne Kopf, blieb ihm räthselhaft. Dieser Kopflose war der Meßner selbst, der gegen den Schluß des folgenden Jahres starb, nachdem im bereits alle übrigen Opfergänger im Tode vorangegangen waren. *)


*) Diese und die frühere Sage erinnern recht lebhaft an die Züge des Nachtvolkes, wie dasselbe im inneren Walgau und Walserthale, im Montavon und Paznaun als wüthendes Heer auftritt.

Quelle: Sagen aus dem Paznaun und dessen Nachbarschaft, Gesammelt und herausgegeben von Christian Hauser, Innsbruck 1894, Nr. 2, Seite 2