Der starke Sulzmüllner aus Gasteig


Zahlreiche Anekdoten gibt es über das Leben des Josef Marcher vulgo „Sulzmüllner” zu berichten.
Am 14.4.1863 wurde in Kirchdorf Josef Marcher geboren. Der später als „Sulzmüllner” bekannt und berühmt wurde und um die Jahrhundertwende zu den stärksten Männern im Lande zählte.

Der 1,90 m große und 135 Kilogramm schwere Naturbursche kam als Müllnersohn zur Welt, war später „Mauthwirt” und ist laut Sterbebildinschrift als „Fahrradhändler, Hausbesitzer und Trödler” am 24.9.1930 gestorben. Viele Kirchdorfer, die den Sulzmüllner noch persönlich gekannt haben, wissen von seiner unglaublichen Kraft zu erzählen, und viele Anekdoten ranken sich um diesen „Kraftlackel”.

Einige davon:

Daheim bei der Sulzmühle in Gasteig ist er gerade beim Mistführen. Sepp hat eine saggrische Fuhre aufgelegt. Dem Bauern, der mit seinem Ross aushilft, wird ganz schwindlig, wie er die große Ladung sieht, und er sagt: „Sepp, I moan, dös wird mein Ross schiaga nit dapacken.” Sepp antwortete: „Moanst? Ofta nocha ziach is halt aloan.” Und Sepp zog sie wirklich hinaus.

Der Ruapperer-Wast und der Sulzmüllner-Sepp haben einmal im Winter Schiefersteine vom Hinterberg herausgeführt. Da ist auf einmal dem Wast die Sperre gebrochen, gerade an der Stelle, wo es recht steil hinuntergeht. „Gotts Nam, bettn damma nit”, schreit er und ist auf den Schlitten des Sepp darauf gefahren. Der Sepp aber macht keinen Rührer und hält mit seiner Fuhr den auf seinem Gefährt aufgefahrenen Schlitten des Wast auf.

Da starke Menschen meist gutmütig sind, so war auch der Sulzmüllner-Sepp „a guata Tuscha”, wie man sagt. Wenn es ihm in der Wirtsstube manchmal zu laut zugegangen ist, sagte er nur: „So Manda, iatz is gnuag, iatz moan i gema!” Und die Männer verschwanden lautlos.

Als aber einmal zwei glaubten, sie könnten sich mit dem Wirt spielen, ist dieser langsam zum Tisch hingegangen, hat die beiden zugleich beim Hals gepackt, hinter dem Tisch herausgehoben, über seinem Kopf mit ihren Schädeln aneinander geschlagen und sie dann übers Kreuz geworfen, als wenn sie zwei „Hoadnmandeln” wären.

Auch für Späße hat der Sepp immer etwas übrig gehabt.

So hat er eine Silbermünze auf dem Stubenfußboden befestigt. Er konnte sich kindlich freuen, wenn ein Besucher in einem unbeobachtet geglaubten Augenblick versuchte, sie aufzuheben.

Selbstverständlich war der Sulzmüllner-Sepp auch ein gefürchteter Ranggler.
Seine Spezialität war aber das Hagglziehen, mit dem er auch bekannt wurde.
Um die Jahrhundertwende war der Bärenwirt von St. Johann, seines Zeichens auch Viehhändler, einmal in Wien, der damals unbestrittenen Metropole der starken Männer.

Als er in den Gasthäusern die Einheimischen nur von ihren Kraftlackeln reden hörte, entschlüpfte es ihm: „Starke Mander gibt's bei ins a ...” und erwähnte den Sulzmüllner, der es mit jedem Wiener aufnehmen würde.

Ein Kampf im Haggelziehen wurde ausgemacht mit 1000 Gulden und einem Lorbeerkranz für den Sieger. So kam es zu der berühmten Fahrt nach Wien, wo die Tiroler, besonders der Sulzmüllner-Sepp, großes Aufsehen erregten.

Auch die Wiener hatten mit dem Weltrekordstemmer Franz Stähr einen berühmten Athleten.

Der Saal im Restaurant Rosenhügel war voll besetzt mit Kraftprotzen aller Art und vielen Neugierigen, die alle darauf warteten, dass der Tiroler den Kürzeren ziehen werde.

Nun standen sich die beiden Muskelpakete am Tisch gegenüber und warteten auf das Zeichen des Schiedsrichters. Im Saal hätte man die berühmte Stecknadel fallen hören können.

Zuerst gelang es Stähr, die Faust des Tirolers wenige Zentimeter herüberzuziehen, und die Wiener fingen schon an zu jubeln, doch dann begann der Sulzmüllner mit seinem „Finish“. Langsam, aber sicher rutschte die Faust des Wieners über den Grenzstrich, und Sepp war Sieger im ersten Gang.

Nach kurzer Pause kämpften die beiden verbissen weiter um jeden Zentimeter, bis es Sepp Marcher gelang, die Faust des Wieners ein zweites Mal über den Strich zu ziehen. Damit hatte Tirol Wien geschlagen, und der Sulzmüllner bekam den Lorbeerkranz umgehängt und steckte die 1000 Gulden ein.

Ein Geheimnis der Bärenkraft des Sulzmüllner-Sepp war ein an der Decke befestigter Eisenring, an dem er sich jeden Tag mehrmals, mit einem 50 Kilo schweren Getreidesack in der anderen Hand, am Hagglfinger aufzog und so eine Zeit lang hängen blieb. Das zweite Geheimnis war seine Wirtschafterin, Emerenzia Aigner. Als einmal mehrere bekannte Kraftmenschen aus Tirol und Bayern zu Besuch kamen, während der Sepp gerade nicht zu Hause war, fragte die Wirtschafterin, was sie vom Sepp denn gerne möchten. „Was werma scho meng? Hagglziachn mecht ma!”, war die Antwort. „Jo, wenn's net mehr is, des kun i a toa”, meinte die Emerenzia darauf. Die Männer haben zuerst gelacht, aber weil sie gerade einmal da waren, könnten sie es zur Gaudi auch einmal mit einem Weibsbild probieren. Der Münchner Brauknecht Fritz Schleifer, später Berufsathlet in Amerika, hat dann mit der Wirtschafterin gehaggelt - und verlor. Bei den anderen Männern ist das Lachen einem Erstaunen gewichen. „Ja, ja!”, meinte darauf die starke Emmy, „Mit'n Sepp richt's scho gor nix aus, weil i grod seine Übungspartnerin bin.”

Der Sulzmüllner-Sepp gilt noch heute bei der Kirchdorfer Bevölkerung als der Inbegriff des starken Mannes.

 

Quelle: OSR Anna Mantinger, Kirchdorfer Sagen und Leit, in: Kirchdorf in Tirol, HG Gemeinde Kirchdorf in Tirol, 2005, S. 138 - 139. (Hans Embacher)