Die Sage vom Moar Hirn

Den Fuhrmann in blauem Kittel und hohen Stiefeln haben die ältesten heutigen Einwohner von Mariahilf und St. Nikolaus noch persönlich gekannt. Seine rotgeränderten Augen gaben ihm ein eigenes Gepräge von Wildheit, welcher jedoch der lammfromme Mann vollkommen ferne stand. Er selbst erzählte über die Ursache der Entstehung seines Augenleidens folgende Geschichte, deren Echtheit der wahrheitsliebende Fuhrmann mit dem ewigen Seelenheile beschwor.

Eines Tages sei er mit seinem Wagen bei der Martinswand vorübergefahren. Da hätten zwei Pater ein sonderbares Wesen dahergebracht, von dem man nicht wußte, ob es ein Mensch oder ein Affe sei. Einer der Kapuziner hätte zu ihm gesagt, das sei ein Geist, der nun ins Gebirge geführt und verbannt würde. Der Fuhrmann möge sich hüten, umzuschauern, wenn sie hinter ihm mit dem Gespenste zu den Felsen aufsteigen. Der "Moar Hirn" war aber dazumal ein kühner Bursche und scherte sich nicht um die Warnung des kuttentragenden Priesters. Kaum habe er jedoch seinen Kopf gewandt, so sei es wie Pfeffer in seine Augen geflogen und seit jener Stunde datiere sein entstelltes Gesicht. Er hätte von dort an gerne an alle Gespenster geglaubt.

Quelle: Das Mittelgebirge der nördlichen Kalkalpen, Kette Innsbrucks und Maria-Brunn vormals "Hungerburg", Innsbruck 1908, S. 23