Wie Haymo den Riesen Thyrsus erschlug

Zur gleichen Zeit wohnte bei Seefeld auf rauher, winddurchbrauster Alpenhöh bei wildaufragenden Felsengipfeln ein zweiter Riese, der Thyrsus hieß. Sein Stamm war schon seit undenklichen Zeiten dort gesessen - allein und ungestört - und so hauste auch er dort oben, einem Eber gleich im eigenen Waldrevier.

Als er von der Ankunft Haymos hörte, da verfinsterte sich sein Gesicht, er ballte die Riesenfaust und in seinem Herzen sammelte sich Groll und Haß wie auf dunklem Bergeshang die schwarz-grauen Gewitterwolken. Er wollte nicht dulden, daß ein anderer sich niederlasse im Bereich seiner Berge, deshalb brütete er nach, wie er den fremden Mann wieder aus dem Lande verdrängen könne. Aber auch Haymo hatte von seinem Gegner und dessen Anschlägen vernommen. Wutentbrannt brach er auf und zog dem Ufer des Inns entlang ins Oberland, hinter Zirl auf sonniger Wiese - heute heißt der Ort Dirschenbach - stieß er auf Thyrsus und rannte ihn mit seinem wuchtigen Schwert an. Überrascht sah sich Thyrsus um eine Waffe um, riß die Birke aus, die neben ihm stand, und setzte sich damit zur Wehr. Weitum ertönten Berg und Tal von den grimmigen Schlägen und im Walde bebten darob die Bäume bis tief in die Wurzeln hinab. Da stach Haymo seinem Widersacher eine tiefe Wunde in die Ferse, so daß ein Strahl hellen Blutes heraussprang. Thyrsus nahm einen Wasen [längliche Erd-, Rasenscholle], stopfte sich damit die Wunde zu und sprang keuchend bergan bis zum Leitnerkogel, wo ihn Haymo einholte und niederschlug. Der Boden trank sich voll vom Blute des totwunden Riesen, der mit ersterbender stimme rief:

"Spritz Bluet
ist für Vieh und Leut guet."

Heute noch wird in Seefeld aus dem harten Stein das heilsame Thyrsusblut gewonnen.

Quelle: Hans Gamper, Wilten in der Sage, in: Wilten - Nordtirols älteste Kulturstätte, Hans Bator, Bd. I, 1924, S. 51f