Der Schnalsjuchzer

Zwischen Fulpmes und Mieders liegt ein Lärchwald, Schnals genannt. Dort sieht man noch immer nachts ein gespenstiges Licht: es schießt pfeilgeschwind tanzend hin und her und auf und ab und fängt zuletzt an gar zu juchezen: es ist der Schnalsjuchzer. Die Sage von diesem Schnalsjuchzer ist bereits in anderen Sagensammlungen erschienen, daher theilen [teilen] wir hier bloß zur Ergänzung Folgendes mit:

Wenn es ein kecker Bursche wagt, den Gschnalsjuchzer nachzuantern [nachzuahmen], hui, dann ist das Licht schon bei ihm und wäre er eine Stunde davon entfernt gewesen.

Als anno neun die Baiern zu Telfes ihr Quartier aufgeschlagen hatten, wohnte daselbst auch ein Major. Er wagte es, trotz der Warnung der Leute über das Licht zu spotten. Da kam er schön an. Im Augenblick war das Licht da, und ihm und seinen Soldaten wurden die Gesichter arg zerkratzt, endlich musste der Held vor dem Lichte reißaus nehmen.

Nicht besser ergieng [sic] es einem Schmied zu Fulpmes, der es ebenfalls gewagt hatte, über das Licht zu spotten.

Hie und da sieht man den Schnalsjuchzer in der Nacht zu Telfes beim letzten Hause auf der Bank sitzen; es ist ein g'spassiger Lother ohne Kopf.

Der Schnalsjuchzer begegnete auch einmal einem Geistlichen als Mann ohne Kopf und hielt dem Erschrockenen ein Kind vor. Die Leute meinen, der Geistliche hätte das Kind taufen sollen, dann wäre der Gschnalsjuchzer erlöst worden.

Vor etwa fünfzig Jahren hütete auf dem Schönberg ein Knabe Ziegen. Auf einmal kam ein Hund des Weges daher, der hatte statt des Kopfes einen Ganskragen auf. Wahrscheinlich war es auch der Gschnalsjuchzer.

Am schlechtesten ist's wohl dem Brugger Franzl ergangen. Der hat sein Lebtag mit schlechten Kameraden gesoffen und gespielt, über die Leute gespottet und geflucht: er war ein Nichtsnutz von Haus aus. Der Herr Pfarrer hat wohl oft gesagt: "Franzl. Franzl, wenn du dich nicht besserst, fällst du dem Teufel schnurstracks in den Rachen." Der Franzl lachte den Pfarrer aus. Da an einem hohen Festtag hatte der Franzl wieder den ganzen Tag verlumpt, und von einer heiligen Messe war keine Rede gewesen bei ihm. Spät abends noch saßen die besoffenen Burschen im Wirtshaus beisammen und spotteten über den Schnalsjuchzer, wie sie davon zu reden kamen. Am ärgsten trieb es wieder der Brugger Franzl. Aber wie er dann heimgegangen ist, hat ihn der Schnalsjuchzer mit lebendigem Leibe vertragen.

Abweichend von der bekannteren Sagenform über den Schnalsjuchzer erzählte ein schneeweißer Alter in Stubai folgende Geschichte:

Der Schnalser Müller hatte eine bildschöne Tochter. Einmal kam aus dem fernen Ungarn ein schmucker Mühlknecht und trat beim Schnalser Müller in Dienst. Das hat aber kein gut gethan [sic]; während der Müller im Wirtshaus war und mit dem Kaiserbauern handeleins wurde über die Hochzeit seiner Rosl mit dem Sohn des Kaiserbauern, versprachen sich der Mühlknecht und die blonde Dirne einander im Schnalserwalde. Aber der alte Müller kam dahinter und jagte seinen Knecht aus der Mühle. Dieser gieng nicht weiter als bis auf den Schönberg und trat dort beim Wirt als Hausknecht in Dienst.

Mit der Rosl fand er sich hin und wieder, wenn der Mond am Himmel stand, im Schnalserwalde zusammen: ein Heller Juchzer verkündete der Dirne seine Ankunft.

Einmal kam er wieder und that seinen verabredeten Juchzer; statt der Rosl kam aber - der alte Müller und schoss dem Knecht eine Kugel durch die Brust; die rauchende Büchse in der Hand, lachte er hellauf, er hatte gut getroffen. Den Burschen hat er im Lärchwald oben heimlich vergraben.

Der Todte [Tote] findet aber im Grabe keine Ruhe: schauerlich dringt sein Juchzen durch die Stille der Nacht, und vor dem gespenstigen Lichte bekreuzen sich die Leute; es ist der Gschnalsjuchzer.

Andere sagen, der Gschnalsjuchzer sei der leibhaftige Teufel; im Ahrnthal [Ahrntal] ist es ebenfalls der Teufel, der mit dem Namen Schnalljuzer bezeichnet wird.

Quelle: Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, gesammelt und herausgegeben von Johann Adolf Heyl, Brixen 1897,
Nr. 29, S. 68f