Zwerge und Norggen in der Wildschönau

1.

Als zu Unterhausberg ein neues Haus gebaut wurde, wussten die Bauleute nicht, wie sie es anfangen sollten, den Grundstein, den sie wegen seiner Größe nicht von der Stelle bewegen konnten, in den Boden zu setzen. In dieser Noth [Not] kam gerade ein Zwerglein des Weges und fragte: "Was steht ihr da, und ist doch der Arbeit genug?" Und sie sagten ihm, wie es stand. Der Zwerg sprach: "Wenn ihr ein wenig warten wollt, werde ich Rath [Rat] schaffen." Die Leute waren es froh, und der Kleine lief um einen Stecken, der ihm handlich war, kam wieder und wälzte mit Leichtigkeit den schweren Stein in das Grundloch, dass er festsaß und das Haus darauf gebaut werden konnte. Die Leute thaten ihm große Lobsprüche, und die Bäurin schenkte ihm zum Lohne einen großen Hefekrapfen und sagte, er möge nur öfter ins Haus kommen, sie wolle sich immer erkenntlich zeigen. Und das Zwerglein fand sich auch richtig allemal, wenn wieder ein Jahr um war, am selben Tag ein und holte sich seinen Krapfen; als aber später einmal das Haus niederbrannte, ließ er sich nicht mehr sehen. Nach andern soll er ausgeblieben sein, weil ihm die Bäurin eine schlechte Gabe gereicht habe.

Ein Nörggelein kam einmal nach Niederachen, einem Bauernhof in Oberau, und stand da als Ziegenhirte in den Dienst ein. Er wolle die Geiße fein hüten, wie's der Brauch ist, sagte er, aber sie müssten ihn auch ordentlich verköstigen; er verlange nicht mehr und nicht weniger als ein gut gestrichenes Butterbrot täglich. Der Bauer war's zufrieden und gab dem Kerlchen täglich ein christliches Trum [großes Stück] Hausbrot, über und über mit Butter bestrichen. Das behagte dem Knirps, und er hütete die Geiße mit solchem Fleiß, dass sie ums doppelte mehr Milch gaben als vorher. Zuletzt wurde es Herbst, und der Bauer gedachte dem Männlein für seinen willigen Dienst eine Freude zu machen. Als der Schneider bei ihm auf der Stör war, musste er für den kleinen Hirten ein schönes rothes [rotes] Röcklein in die Arbeit nehmen. Das fertige Röcklein legte der Bauer sodann am Abend, wie der Norgg die Geiße heimbrachte, zum Butterbrot. Dieser sah das nette Wämschen, zog es an und hüpfte voll kindischer Freude in der Stube umher. Daraus verließ er das Haus und kam nicht wieder. Seit der Zeit soll der Niederachner kein Glück mehr mit seinen Geißen haben.

Zwerge waren es auch, die dem dummen Kaufmannssohn ins Riesenschloss die Nachricht von der schönen Prinzessin auf dem gläsernen Berg brachten und ihm behilflich waren, selbe zu erringen.

Auch auf den Alpen leisten die Wichtlein den Menschen unter Umständen sehr gute Dienste. Sie säubern, wenn man sie freundlich behandelt, das Geschirr, hüten das Vieh, bewahren es vor der Seuche, indem sie ihm Heilkräuter unter das Futter mengen, und sperren den Pferden und Rindern in der Nacht das Maul zu, dass keine Maus hineinschlüpfen kann, welche den Thieren [Tieren] den Magen zernagen würde.

2.

Es waren aber nicht alle Zwerge und Norggen den Menschen wohlgesinnt, es gab auch rechte Tückebolde unter dem kleinen Volk. So hauste ein Norgg zu Holzalm, der seine Freude daran hatte, sobald die Nacht einbrach, Menschen und Vieh zu necken. Der Bäurin trug er Erbsen in das Mehl und mischte Mehl in den Honig und Bohnen in die Gerste. Wenn es dunkel wurde, legte er sich quer über der Thürschwelle [Türschwelle] auf den Boden, dass die Hausleute, wenn sie in die Stube giengen, darüber wegpurzelten, und machte sich mit schadenfrohem Kichern aus dem Staube, während die Genarrten ihm weidlich nachfluchten, oder lachte laut in einem Winkel und machte sich unsichtbar, wenn man mit einem Lichte suchen gieng.

Ein Bauernmädchen war auf dem Kirchgang und trug ein stolzes Röslein hinter dem Ohre. Da kam ihr ein Zwerg in den Weg und bat die Dirne um das Röslein. Weil ihm die Bitte aber abgeschlagen wurde, machte sich der Knirps daran, Gewalt zu brauchen. Wie er sich nun in die Höhe reckt und nach der Blume langt, schlägt die Dirne dem Losen auf die Hand, dass es patscht. Der Zwerg gerieth in Zorn darüber und biss der Dirne in den Finger, dass das Blut nur so herunterperlte. Die Wunde wollte lange nicht verheilen; zuletzt bildete sich ein Knoten am Finger und war nimmer wegzubringen. Die Dirne heiratete später und bekam Kinder und Enkel, und alle hatten sie an der gleichen Stelle den Knoten.

Auch auf den Almen gab es boshafte und feindliche Wichtlein, aber immer nur dort, wo eine Sennerin war, denn bei Sennern fanden sich nur Zwerglein von ausgesuchter Liebenswürdigkeit zur stets bereitwilligen Dienstleistung ein. Was eine weibliche Hand berührte, konnten sie nicht leiden, deshalb störten sie die Sennerinnen durch ausgesuchte Tücke in ihrer Arbeit, ja nicht selten zertrümmerten sie die Gegenstände, deren sich die Sennerin bei ihrer Arbeit bedient hatte.

Quelle: Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, gesammelt und herausgegeben von Johann Adolf Heyl, Brixen 1897,
Nr. 45, S. 81ff