Die Kasertörggelen
Den ganzen Sommer über wohnen unsichtbar die Kasertörggelen auf den Stubaier Almen. Es sind geisterhafte Kinder, ganz harmlos im allgemeinen, bloß den Vorwitz können sie nicht vertragen.
Um Martini ziehen sie von der Alm ab, und da segnen die Leute ihre Häuser, bevor sie abends zwischen acht und neun Uhr im Dorfe vorbeiwandern. Man verschließt dann die Fensterladen so fest als möglich. Einmal war ein neugieriger Knecht, der heimlich hinausschaute. Da zogen sie gerade vorbei, eine ungezählte Kinderschar. Schon kamen die letzten heran; auf einmal erklang eine Kindesstimme:
Geh, thu dö Balklan zu!
[Geh, tu die Fensterläden zu!]
In dem Augenblick erblindete der Knecht. Er versuchte alle möglichen
Mittel zur Heilung, er fragte auch fromme Geistliche um Rath [Rat]; alles
vergebens. Da rieth ihm endlich eine alte Bäurin: Nächstes Jahr
mehr (wieder) zuschauen! Er that es. Richtig wanderten die geisterhaften
Kinder wieder vorbei, und schon glaubte der Knecht, sie wären vorüber,
als eine Stimme ertönte:
Geh, thu dö Baltlau au!
[Geh, tu die Fensterläden auf!]
Da war er wieder sehend.
Ein anderesmal begegnete ein Knecht, der leichtsinnig dahinlebte, auf der Straße zwischen Fulpmes und Mieders den abziehenden Kasertörggelen. Ganz zuletzt humpelte ein kleines Kind dem Zuge nach. Es war im Hemdlein, aber das war zu lang, so dass es vom Kinde nachgeschleppt wurde. Der übermüthige [übermütige] Mensch fieng zu lachen an, erstarrte jedoch sofort aus Schreck, als das Kleine sagte:
"Vater, derfst nit z'lachen, weil mir kein besseres Leichentuch geben hast."
Quelle: Volkssagen, Bräuche
und Meinungen aus Tirol, gesammelt und herausgegeben von Johann Adolf
Heyl, Brixen 1897,
Nr. 36, S. 73