Von den Hexen in Stubai

Die Hexen sind in Stubai noch nicht ausgestorben; jeden "Pfinztig" [Donnerstag] kommen sie auf dem Sailjoch zusammen. Sie machen die bösen Wetter, und wenn die große Glocke von Telfes nicht wäre, dann würden die Fruchtfelder schon längst in Muren verwandelt sein. Besonders kräftig gegen das Verhexen ist es, wenn man im Frühjahr geweihte Kohlen unterackert.

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Der Volderauer Andrä von Telfes hat erst vor wenigen Jahren am Sailsteg eine Hexe gesehen. Sie war weiß gekleidet. Der Ochsener Wurzer hat die Hexen deutlich schreien hören auf dem Sailerboden. Dem Buckeler Bauern aus Telfes sind auch einmal zwei Hexen begegnet, und die haben ihn so böse angeschaut, dass er geschwind das Kreuz machte und über Stock und Stein davon rannte.

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Der Brantner zu Telfes that [sic] vor etwa 14 Jahren einen großmächtigen Ochsen auf die Alm unter dem Sailjoch. Da kommt eines Tages der Hirt und meldet, er solle geschwind hinaufgehen auf die Alm, sein Ochse sei verhext. Da ist der Brantner wohl mit geweihtem Salz hinauf, aber er kam zu spät. Der Ochs, der noch vor kurzem sehr feist war, stand wohl oben, aber nur mehr die Haut war über seine Knochen gespannt, und er zitterte wie Moosrohr. Die Hexen hatten "nachten" ein Gelage gehalten und das Fleisch dazu dem Brantner Ochsen herausgezaubert.

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Der alte Jörgel von Gabers traf einmal zu oberst auf der Saile eine Hexe. Sie strickte und sagte kein Wort. Natürlich schaute der Jörgel, dass er möglichst bald aus ihrem Bereich kam, denn erst etliche Jahre sind es her, seit ein Fremder da oben eingeschlafen und des andern Morgens drüben in Völs aufgewacht ist.

Quelle: Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, gesammelt und herausgegeben von Johann Adolf Heyl, Brixen 1897,
Nr. 75, S. 108f