Der Geißstein

Im finstern Schoße des Geißsteins in den Kitzbüchler Alpen ist eine immer fließende Goldquelle, welche ihre Tropfen in eine darunterstehende Kanne fallen lässt. In früheren Zeiten sind die Venediger Männlein gekommen und haben die volle Kanne ausgeleert, die leere wieder untergestellt und das Gold mitgenommen. Aber niemand weiß das Loch, durch das sie in den Berg geschlüpft sind, und die Kanne müsste längst wieder voll sein, aber wer wird das Glück haben, den Schatz zu heben?

Vor uralten Zeiten ist im Geißstein geknappet [abgebaut] worden; es war ein Goldbergwerk. Da ist's dann zugegangen auf dem Schlaberstatter Kirchtag! Die Schlaberstatt ist ein schöner Grasboden auf der Nordseite des Geißsteins zwischen den Almen Pfandeben und Ahornthal, und daher ist alles tanzlustige Volk von der Tiroler und salzburgischen Nachbarschaft zusammengeströmt. Der Übermuth [Übermut], der auf dem Schlaberstatter Kirchtag getrieben wurde, kannte keine Grenzen: den unsinnigsten Tänzen folgten Roblerkünste und Raufereien, wobei es ohne Blutvergießen nie abgieng [sic].

Noch zeigt man die Plätze, wo die Spielleute saßen; etliche darunter waren immer leibhaftige Teufel, und wo diese gesessen sind, wächst noch immer kein Grashälmchen.

Quelle: Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, gesammelt und herausgegeben von Johann Adolf Heyl, Brixen 1897,
Nr. 62, S. 100