Die wilden Fräulein in Wildschönau

In der Wildschönau ist eine Alm, der Wildenbacher Baumgart genannt. dort oben wohnten die wilden Fräulein, und noch jetzt zeigt man die drei Höhlen, in welchen sie daheim waren. Sie erwiesen sich stets lieb und freundlich und thaten niemand etwas zuleide. Auf die schmucken Bauernburschen aber hatten sie ein scharfes Auge und waren mitunter, wenn sie den rechten erblickten, kindisch vernarrt. Sie ließen nicht ab. bis sie ihn in ihrer Gewalt hatten, und zogen ihn schmeichelnd und liebkosend in ihre dunkle Behausung. Musste der Bursche wieder heim, dann ließen sie ihn wieder gehen, ja sie gaben ihm noch reichlichen Lohn mit auf den Weg und baten ihn, wiederzukommen. Es war, als ob sie fürchteten, dass ihr Geschlecht aussterben könne, darum begehrten sie kräftigen Nachwuchs. Hatte es ein Senner gut bei ihnen, so kamen sie nicht selten in seine Schweige auf Besuch, halfen ihm bei der Arbeit und leisteten ihm vortreffliche Dienste.

Da begab es sich, dass auf der genannten Alm eines Tages ein Wildschütze erschossen wurde. Das kränkte die wilden Fräulein dermaßen, dass sie klagend ins Thal [Tal] riefen:

"Hier sind die Menschen Scheiben,
Wir können nimmer bleiben"

und für immer aus der Gegend wanderten. Mit ihnen schwand aber auch Glück und Segen, und seither ist die Alm bei weitem nicht mehr so schön und einträglich wie vorher.

Quelle: Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, gesammelt und herausgegeben von Johann Adolf Heyl, Brixen 1897,
Nr. 43, S. 79f