Der Almgeist und die Eierschalen

Im Unterinnthal [Unterinntal] ist eine Alm und daneben ein Wald, der Awald [Auwald?] genannt. Auf dieser Alm weideten 2 - 300 Stück Vieh. Aber es war nicht geheuer da. Auf den Almen ist es Brauch, dass man am Abend alles sauber aufarbeitet. So geschah es auch auf der Awaldalm; jedoch in der Nacht hörte man immer jemand arbeiten wie bei Tage die Senner, und am Morgen war nicht mehr alles in der Ordnung, wie man es abends verlassen hatte.

Einmal war nun eine Sennerin oben, die um jeden Preis dem Dinge auf die Spur kommen wollte. Die Gelegenheit dazu war bald gefunden. Es kamen eines Tages etliche Herren und Frauen auf die Alm, und die Sennerin bewirtete sie mit Eiern. Die Eierschalen aber sammelte sie, trug auch solche von anderen Almhütten herzu und stellte sie auf dem Herde, auf dem Boden und auf den Bänken der Hütte so auf, wie man Häfen [Becher] hinstellt, in der Erwartung, dass der Geist auf diese Eierschalen irgendwo bestimmt treten müsse. Darauf versteckte sie sich im Schlafkasten der Nebenkammer und horchte. Es dauerte nicht lang, da hörte sie jemand draußen wehmüthig [wehmütig] reden:

"Jetzt bin ich so alt und weiß den Awald neunmal Wiese und neunmal Wald, aber so viel Hiefelen und Hafelen habe ich noch nie gesehen wie heute."

Darauf verließ der Geist die Hütte und kam nie mehr. Die Alten haben den Geist noch gehört und ärgern sich, dass die Jungen ihn nicht mehr hören. (Ellmau.)

Quelle: Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, gesammelt und herausgegeben von Johann Adolf Heyl, Brixen 1897,
Nr. 28, S. 67f