Wie der Geist von der Auracher Wildalm verbannt wurde
In früherer Zeit, als sich noch Geister auf der Erde herumtrieben, machte ein solcher auch die Auracher Wildalm unsicher. Man sah ihn immer im Frühjahre, wenn die Bauern das Vieh hinauftrieben. Er sah aus wie ein Metzger, denn er hatte eine rothe [rote] Jacke und eine weiße Schürze an, und auf der Schulter trug er ein großes Beil. Sobald sich nun das erste Rind - in der Regel war es ein schöner Ochse oder eine schöne Kuh - innerhalb des Almgatters befand, kam er und verschwand mit demselben. Als sich das mehrere Jahre hintereinander wiederholt hatte, waren die Bauern klug genug, nur mehr ein Stück Kleinvieh vorauszuschicken, was, wie es schien, dem unheimlichen Gaste nicht recht behagte, da sich das Vieh in der folgenden Zeit oft sehr unruhig zeigte. Einmal nun glaubte man wirklich, der Böse selbst sei unter das Vieh gefahren, so gieng [sic] es im Stalle zu. Es. riss und zerrte an den Ketten und brüllte fürchterlich. Niemand wusste sich mehr zu helfen. Man schickte nach Kitzbüchl [Kitzbühel] zu einem überaus frommen Capucinerpater [Kapuzinerpater], welcher auch sogleich kam und den Geist bannte. Er begab sich in den Stall hinein, während die Senner und Bauern draußen einen Kreis um denselben bildeten, wobei keiner die Hand des andern auslassen durfte.
Schweißtriefend kam der Pater endlich aus dem Stall, und der Kreis wurde geöffnet. Laut betend schritt der Geistliche voran, die übrigen folgten, einer hinter dem andern, niemand durfte weder umschauen noch sprechen, ausgenommen die Worte des Gebetes. Der Zug gieng zum nächsten Hügel, auf welchem ein großer Baum stand. In diesen wurde ein großes Loch gebohrt, der Geist hineingebannt und das Loch wieder verschlossen.
Seitdem sah man den Geist nicht wieder. (Kufstein.)
Quelle: Volkssagen, Bräuche
und Meinungen aus Tirol, gesammelt und herausgegeben von Johann Adolf
Heyl, Brixen 1897,
Nr. 26, S. 66