Der "Lindenpfarrer"
Etwas abseits vom Dorfe Schwendau stehen am Wege nach Mairhofen drei mächtige Linden, die ihr dunkles Laubdach schützend über ein schönes Cruzifix wölben. Eine hölzerne Bank ladet den ermüdeten Wanderer zu einer erquickenden Rast im kühlen Schatten der Bäume ein. Hier schweift der blick von den üppiggrünen Matten des Zillerthales empor zu den felsigen Giebeln der Gerlossteinwand, der Ahornspitze, des schroffen Floitenthurms und des stolzen Triftners, der in steilen Wänden aus dem Stilluppgrund aufsteigt.
Dieses liebliche Plätzchen benützten einst Feldarbeiter, um
dort "Untang" *) zu essen. Da stand plötzlich eine Dirne
auf und fragte die andern, warum sie nicht auch aufstehen, da ja ein Geistlicher
vorbeigehe. Die übrigen aber konnten niemanden gewahren; es mußte
also der "Linderpfarrer" gewesen sein, ein Geist, der nicht
allen Leuten sichtbar ist und am häufigsten in der Kleidung eines
Geistlichen bei den drei Linden umgeht.
Ein andermal kam ein Metzgerbursche mit seinem Hunde um Mitternacht von
Mairhofen herunter und sah bei dieser Stelle einen schwarzen "Löt'r",
der ihm den Rücken zugekehrt hatte, unbeweglich am Feldzaune lehnen.
Da rief er ihm zu: "Hoi, dü, gemm'r ebbar mit'nond'r ge Zelle
oh'n?" Als aber der Angeredete gar kein "Zoach'n" gab,
verdroß dies den Burschen, er trat näher zu ihm hin und drohte:
" Soast ebbas, öd'r i hau d'r n'Steckn ibang Bügg'l eih'n,
afs kod schmotzt". Der unheikmliche Geselle rührte sich a er
imer noch nicht und er Bursche versetzte ihm in der that mit aller Kraft
einen Streich auf den Rücken. Jetzt wandte sich die Gestalt um, und
ein bleiches, entstelltes Gesicht starrte dem Kecken entgegen. Nun erkannte
er den Lindenpfarrer und lief was er laufen konnte davon. Der Geist aber
war immer ein kleines "Rickl" hinter ihm her. Wenn der geängstigte
beim Laufen den keuchenden Hund auf seinen Verfolger hetzen wollte, kam
er dem Burschen nur immer zwischen die Füße, daß er fast
zu Falle kam. Dennoch erreichte ihn der Geist nicht, da jener wahrscheinlich
gut besegnet war, und als sie zum Hippacher Widum kamen, mußte der
Lindenpfarrer zurückbleiben.
*) "Untang", Jause
Quelle: Sagen aus Innsbruck's Umgebung, mit besonderer Berücksichtigung des Zillerthales. Gesammelt und herausgegeben von Adolf Ferdinand Dörler, Innsbruck 1895, Nr. 38.