Der Juchezer

1.

Auf der Padasteralm im gleichnamigen Thälchen hörte ein Melcher, als er an einem schönen Sommerabende vor der Hütte saß, einen hellen Juchezer an der gegenüberliegenden Berghalde erklingen. Da juchzte auch der Senner, daß es an den Felsen wiederhallte. Nun ertönte aber der frühere Jauchzer schon ganz nahe. Erschrocken sprang der Melcher in die Hütte und verriegelte die Thüre. Jetzt vernahm er im Ziegenstall einen fürchterlichen Lärm, daß er glaubte, es erschlage ihm alle Geißen auf einmal. Mit schwerem Herzen gieng er am nächsten Morgen in den Stall, fand jedoch die Thiere gesund und munter, und nichts deutete auf das nächtliche Spectakel hin.

2.

Zwei Burschen vom Rohrberg im Zillerthal wollten nachts zu ihren Dirndeln nach Hainzenberg fensterln gehen. Da hörten sie im Dörflein oben einen lauten Trutzjodler. Im Vollgefühl ihrer Kraft und Schneid ließen sie nicht lange mit der Antwort warten. Gleich darauf hörten sie ihn aber ein gutes Stück weiter herunten, beim Flörleranwesen, und im nächsten Augenblick stand ein schwarzer Geselle vor ihnen, in dem sie entsetzt den Teufel erkannten. In wilder Furcht rannten sie davon in den nächsten Stadl und warfen sich ganz ermattet auf das Heu. Hier hatte der eine die Fassung schnell wieder erlangt und reicht seinem Freunde die Schnapsflasche mit den Worten: "Moch d'r nar nicht draus; se, trink a bissal an Schnops!"

Quelle: Sagen aus Innsbruck's Umgebung, mit besonderer Berücksichtigung des Zillerthales. Gesammelt und herausgegeben von Adolf Ferdinand Dörler, Innsbruck 1895, Nr. 77.