Der G'schnalsjuchzer

Wo sich die letzten bewaldeten Ausläufer des mächtigen Felshauses der Serlesspitze gegen das wildschöne Stubaithal herabsenken, liegen beim Dorfe Mieders zwei Bauernhöfe mit einer Mühle. Die Felder weiter gegen Fulpmes zu tragen den eigenthümlichen Namen "im Gschnals". Hier läßt sich nämlich besonders in den Nächten der Fasten- und Adventzeit das durchdringende Jauchzen und Pfeifen des G'schnaljuchzers vernehmen. Ueber die Entstehung dieses Spukes erzählt man sich folgende Sage:

Die Tochter eines ehemaligen Besitzers jener Mühle hatte mit einem Müllergesellen ein heimliches Verhältnis. Ihre Zusammenkünfte hielten sie nächtlicherweile fern von den beiden Bauernhäusern, auf den Feldern von Fulpmes, und der Bursche juchzte und pfiff seinem Dirndl dann immer schon von weitem zu. Aber eines Tages kam der Müller hinter die ganze Geschichte und beschloß in seinem unbändigen Zorn, die Tochter niederzuschießen. Er schlich sich mit scharf geladenem Gewehr hinaus auf die Weise und juchzte dem Mädchen gerade so zu, wie es ihr Liebhaber zu thun pflegte. Arglos kam die Getäuschte herzu, da drückte der Müller los, der Schuß krachte weithin durch die stille Nacht, und mit einem markerschütternden Schrei sank das Mädchen todt zu Boden. Hastig wühlte er ein Grab auf, legte den blutüberströmten Leichnam hinein und scharrte es wieder zu.

Der Mörder blieb unentdeckt, bis der Müller gestorben war, und sein Geist juchzend und pfeifend auf der Stätte der unseligen that umgehen mußte.


Quelle: Sagen aus Innsbruck's Umgebung, mit besonderer Berücksichtigung des Zillerthales. Gesammelt und herausgegeben von Adolf Ferdinand Dörler, Innsbruck 1895, Nr. 47.