Geistende Bäurinnen

In der Kerblgasse zu Zell im Zillerthal steht von Obstbäumen umgeben ein wettergebräuntes Bauernhaus, das Friedricher Anwesen. Hier geht nacht eine in diesem Hause verstorbene Bäurin um. Einst wollte der Witwer am Portiuncula-Festtag beichten gehen und stand deshalb schon sehr früh auf, vergaß aber ganz, auf die Uhr zu schauen. Als er nun auf dem kurzen Feldweg der Straße zuschritt, sah er beim Mondschein eine weibliche Gestalt mit tief ins Gesicht gedrücktem Hute am Zaune neben dem Gatter lehnen. Da dachte sich der Bauer, die sehe ganz seinem verstorbenen Weibl gleich, machte das Gatterl auf und suchte ihr dabei besser ins Gesicht sehen zu können. Jetzt erkannte er auch wirklich sein Weib und rannte wie toll die Kerblgasse hinab. Der Geist aber war immer eine Schrittlänge hinter ihm. Beim Kupferer hause jedoch blieb das Weib zurück, während der Bauer immer noch zulief, bis er die Kirche erreicht hatte, wo die Thurmuhr gerade ein Uhr schlug.

Quelle: Sagen aus Innsbruck's Umgebung, mit besonderer Berücksichtigung des Zillerthales. Gesammelt und herausgegeben von Adolf Ferdinand Dörler, Innsbruck 1895, Nr. 30/1.