Der Burgstallschrofen

Zwischen Schwendau und Mairhofen erhebt sich am linken Zillerufer ein Hügel, der Burgstallschrofen, dessen Gipfel jetzt eine Kapelle krönt. Vor alter Zeit aber stand ein festes Schloß auf dieser Höhe. Der Burgherr lebte in beständiger Feindschaft und Fehde mit seinem Bruder, dem Herrn von Schlitters, bis letzterer die Burg in dunkler, stürmischer Nacht überrumpelte und niederbrannte.

Als man später das Fundament zur Kapelle grub, fand man noch ledernes Geld und andere Alterthümer.Die Arbeiter stießen auch auf ein eisernes Thor, das mit mächtigen Riegeln verschlossen war und nicht aufgesprengt werden konnte. Vielleicht führt es zu dem unermeßlichen Schatze, der schon seit vielen Jahrhunderten dort aufgespeichert ist. Es gäbe aber doch noch ein Mittel, zu den Reichthümern zu kommen. Wenn man nämlich dreimal schnell genug um den Hügel herumliefe, sähe man beim drittenmal einen Schlüssel am Boden liegen, den man im vollsten Laufe aufheben müßte. Dann würde man ein Thor am Hügel erblicken, das mit dem Schlüssel leicht aufgesperrt werden könnte, und durch welches man ins Innere des Hügels zu dem Schatze gelangen würde. Nun könnte man von demselben soviel mitnehmen, als man auf einmal wegzutragen vermöchte.

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Beim Burgstallschrofen hütete ein Hirte Kühe. Da trat ein kleines Manndl zu ihm hin und fragte ihn, ob er nicht das verzauberte Schloß im Innern des Hügels vom Banne befreien wolle; es dürfe ihm aber dabei vor nichts "grausen". Der Junge willigte freudig ein, und das Männlein führte denselben in einen ihm bisher ganz unbekannten unterirdischen Gang, der von ekelhaften Schlangengezücht wimmelte. Darunter gewahrte der Hirte einen besonders großen wurm mit einem Schlüssel im Maule. Das Manndl forderte nun den Burschen auf, dem Vieh den Schlüssel abzunehmen. Da wickelte sich die Schlange im Nu um den Hals des hirten und hielt ihm den Schlüssel vor's Gesicht, so daß er ihm bequem hätte ergreifen können. Den Burschen aber packte ein namenloses entsetzten, er schüttelte die Schlange ab und im selben Augenblick stand er wieder draußen vor dem Hügel, ohne daß noch eine Spur von dem Gange zu entdecken wäre. Jetzt hörte er eine Stimme rufen: "Am Schwendberg oben wird ein Baum mit drei Wipfel wachsen. Aus dem mittlern muß eine Wiege gemacht werden, und das erste Kind, das man hineinlegt, wird später wieder Gelegenheit haben, den Zauber, der auf dem Schlosse lastet, zu lösen."

Quelle: Sagen aus Innsbruck's Umgebung, mit besonderer Berücksichtigung des Zillerthales. Gesammelt und herausgegeben von Adolf Ferdinand Dörler, Innsbruck 1895, Nr. 57.