DIE KÄLBERZÄHNE

Zu Kitzbühel lebte einst ein Ehepaar, dem die dürre Not und das bleiche Elend durch jede Spalte seines armseligen Häusleins guckte. Eines Sonntags ging die Frau durch den Wald hinauf zur Einsiedelei Kniepaß, um dort vor dem lieben Herrgott ihr bekümmertes Herz einmal recht auszuschütten. Lange und inbrünstig betete das arme Weib und stieg erleichtert wieder zu Tale nieder. Der Weg führte sie am Ehrenbach vorbei, der oft gar wild ist, jetzt aber, es war im heißen Sommer, schier wasserlos sich zeigte und dessen Bett zum größten Teile ausgetrocknet war. Da glänzte neben Kieseln, Kalkstein und Grauwackengerölle etwas Weißes, und wie die Frau darauf, sich bückend, hinsah, gewahrte sie, daß es ein Häuflein Kälberzähne war, die ganz rein und weiß erschienen. Sie griff hin und schob eine Handvoll in ihren Sack, in der Meinung, die Kinder könnten damit spielen, die immer etwas mitgebracht haben wollten, und gleich jedesmal, wenn die Mutter von einem Gang heimkehrte, an Händen und Kleidern zupften und fragten: "Mutter, hast du uns gar nichts 'bracht?"

Nun waren aber die Kleinen just bei einem Nachbar. Die Frau zog ihr Sonntagsgewand aus, hing es in den Kasten und dachte nicht mehr an die Zähne. Am nächsten Feiertag. als die Frau ihr einziges Festkleidungsstück wieder anlegte, klingelte etwas in dessen Tasche, wie Geld. Aber Geld und meine Tasche - wie sollten die zusammen kommen? dachte das arme Weiblein, griff ganz verwundert hinein und brachte noch verwunderter eine Handvoll funkelnagelneuer Zwanziger heraus. Das war eine Freude! Erst Zähne eingesackt und nun Geld, und auch für die eigenen Zähne etwas zum Beißen zu kaufen! Flugs machte sich die Frau auf den Weg, lief am Ehrenbach hinauf, denn es hatten dort noch gar viel Kälberzähne gelegen. Aber o weh, jetzt waren sie alle weg, wie weggeblasen! Doch dankte die Frau mit ihrem Manne fromm und gerührt dem Helfer in der Höhe, der ihnen diesen schönen Schatz beschert.


Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 19