DIE SILBERTÄUFER

Unterm Berfall-Schrofen am Höttinger Gebirge, dem Achselstein und Solstein entragend, lag eine reiche Silbergrube. - Es werden wohl mehr als hundert Jahre her sein, daß einst die Knappen einen so großen Silberklumpen fanden, daß von den nahen Allerheiligenhöfen vier Ochsen eingespannt werden mußten, um diesen Klumpen, nachdem er zu Tage gefördert war, zur Münzstätte zu fahren. Diese Fahrt erfolgte an einem "Pfingstig" (Donnerstag). Die Straße führte damals durch das Dorf Hötting, denn drunten im Grunde, wo jetzt die Poststraße hinzieht, war nur aufgeschwemmtes Kiesland. Die Knappen waren sehr lustig über ihre so reiche Ausbeute, und als sie nun herwärts zu dem "Schlaggar" geheißenen Knappenwirtshaus (jetzt zum Bärenwirth) kamen, übernahmen sie sich so sehr im Wein, daß ihnen in ihrer rauschigen Tollheit der Gedanke kam, den Silberklumpen zu taufen, und der Wirth nährte fleißig diesen frevelhaften Gedanken. Nur einer der Knappen rieth ernstlich ab, aber die trunkene Mette war einmal im Gange; von zwölf Knappen nahm jeder ein Schaff voll Wein, und goß es auf den Silberklumpen vor der Thüre, und zwar umso öfter, je mehr der brave Knappe abzuwehren suchte, so daß der Wein vom Schlaggar bis zur "Süßenmüllerbrucken" und in den Mühlbach hinabrann. Diese alte gewölbte Brücke steht noch. Als der Frevel vollbracht war, fuhren die Knappen weiter nach Hall, allwo die Silberschmelze sich befand. Kaum war das Erz geschmolzen, so wallte es schäumend auf, mit Donnerkrachen barst der Ofen, und eine blaue Lohe schlug aus ihm zum Himmel. In der selben Stunde starb jählings der Wirth zum Schlaggar. Aber die Knappen ließen sich nichts anfechten, sie kehrten auf dem Rückweg wieder im Schlaggar ein, zechten aufs neue, und tanzten die halbe Nacht hindurch, steckten Bratwürste statt Federn auf die Hüte, und runde Brotschnitte statt Gamsbärte, ohne sich darum zu bekümmern, daß die Leiche des Wirthes auf dem Rechbrett lag.

Nach Mitternacht sollte es noch immer so fort gehen, aber die fromme Wirthin gab kein Fleisch mehr her, und stellte statt dessen breite Fastenküchl auf. Darüber lachten und spotteten die Knappen über alle Maßen, befestigten die Küchlein auf ihren Schuhen als Rosetten, und zogen gegen Morgen ihres Weges nach der Silbergrube.

Kaum waren die zwölf gottlosen Knappen wieder im Schacht, so brach die Silbergrube zusammen, der Berg spaltete sich und die ganze Umgebung wurde von Trümmern des Bergfalles überschüttet. Vier jammernde Wittwen suchten vergebens nach den Gebeinen ihrer erschlagenen Männer. Nur der dreizehnte Knappe, der von der Silbertaufe abgerathen, blieb am Leben. Die Verschütteten wurden in Schatzhüter verwandelt und büßen noch immer ihren Frevel. Vergebens hat man damals und noch bis in die neueste Zeit versucht, die reiche Silbergrube wieder aufzuthun.


Quelle: Mythen und Sagen Tirols. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Zürich 1857 , Nr. 61, Seite 191