Berggeist Schmuck

Mitten in der Riß, einem von mächtigen, an Gemsen reichen Gebirgsstöcken umstarrten Alpentale, ragt die Lariderer Wand schauerlich hoch empor wie die Martinswand bei Innsbruck, man sagt 2000 Fuß, und an ihrem Fuße ruht die Alpe Lariders. Zur Zeit, als um Schwaz und Brixlegg noch der Bergsegen blühte, war im letzteren Bergwerke ein Knappe, namens Schmuck, als Hutmann (Obersteiger) angestellt, dessen Seele vom Geiz besessen war. Er ließ jeden Knappen nach der Feierstunde noch zwei Trücherln (Mulden) voll Erz für sich ausführen und gewann dadurch, da die Knappenschaft viele hundert Köpfe zählte, im Laufe eines Jahres bedeutende Tagschichten. Die Knappen durften sich nicht mucksen und nicht klagen, sonst kamen sie ums Brot, bis endlich ein ob harter Bedrückung und durch Schmuck zugrunde gerichteter armer Familienvater ihn sterbend verfluchte und vor Gottes Gericht forderte. Da starb der Hutmann Schmuck unverhofft eines jähen Todes, ohne die letzte Wegzehrung der Kirche, und sein Leichnam wurde alsbald über und über schwarz und mußte eilig verscharrt werden. Und niemand betete ihm nach.

Bald nach Schmucks Tode aber ward er als Gespenst erblickt, und zwar nicht nur da, wo er gestorben war, sondern bald da und bald dort in der früheren Leibesgestalt herumwandelnd, hauptsächlich auf dem Staner Joch ob Maria Stein bei Stans und am Staner Bach. Er rauschte und brauste und heulte wie die Klammpütze oder die Klamm- und Kluppamänner, warf harmlosen Wanderern Steine nach und führte sich greulich und ungezogen auf. Da hat der fromme Prälat von Fiecht den unruhigen Geist endlich auf die Lariderer Wand hinaufgebannt, von der er unausgesetzt die Steine trüchel- oder muldenweise herabschüttet. Manchmal nimmt der böse Berggeist auch etwas mehr als ein Trüchel, und es kommt ihm auf ein paar Steine mehr oder weniger nicht an, und nach und nach überschüttet er die ganze Alpe Lariders, die früher eine weite, grüne Matte war, jetzt aber voller Reisen (Steinhaufen) liegt. Vor mehreren Jahren waren einmal an einem Sonntag neun Hirten auf der Alpe im Heimgart beisammen. Sie hatten von dem Geiste gehört, wollten aber nicht an ihn glauben, vielmehr machten sie sich lustig über ihn und schrien gegen die Lariderer Wand: "Schmuck! Schmuck! No a Trücherl", da hörte man gleich darauf immer näher kommendes Donnergerolle, und dann prasselte eine Unmasse Gestein und Felsbrocken die Wand herab, daß die Alpe erbebte. Nahezu wären die vorwitzigen Hirten von den Steinen erschlagen worden, die ihnen über die Matte nachflogen, wenn sie nicht eilenden Laufes sich gerettet hätten. Seitdem wird vom Almmeister alljährlich den Hirten auf der Lariderer Alpe ernstlich geboten, bei sofortiger Entlassung aus dem Dienst, sich allen Schreiens, Rufens und Schießens, sogar des Jodelns zu enthalten, und keiner wagt mehr den Ruf: "Schmuck! Schmuck! No a Trücherl!"

Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 82