Der alte Zodinger

In der Zeit um 1850 herum machte ein Bauer aus Alpbach, dessen Vorfahren schon als Menschen mit ungewöhnlichen Fähigkeiten bekannt waren, viel von sich reden. Der "alte Zodinger", wie man ihn nannte, konnte Blut stillen, er half bei Muskelschwund nach Verletzungen und - was noch mehr zu denken gab - er konnte das Wild "stellen". Das heißt nichts anderes, als daß er die fliehenden Rehe, Gemsen und Hirschen, wenn er sie schießen wollte, allein durch die Macht seines Willens zum Stehen bringen konnte.

Dieser Bauer, der im Jahre 1875 starb, war im Dorf sehr angesehen und blieb auch später noch als legendäre Gestalt sehr vielen in Erinnerung. So sagte man, er sei der einzige Mann in Alpbach gewesen, der imstande war, den Teufel zu bannen. Er hatte allerlei Bücher und Niederschriften in seinem Besitz, die man jedoch einige Jahre nach seinem Tod auf Betreiben eines Geistlichen alle verbrannte. Das soll im Jahre 1880 geschehen sein.

Dabei soll es ein sonderbares Feuer gegeben haben: Es schillerte grün, gelb, rot und blau, in allen Farben sprühte es. Die Personen, die das Feuer in Gang hielten, ließen keine Neugierigen näher heran, sie hielten sie mit einer Haselnußgerte fern. Die Zweige dieses Strauches galten im Volk als besonders wirksam in der Abwehr böser Geister.

Zu Lebzeiten des Bauern kam einmal der Höllische zu einem Mädchen ans Fenster. Dabei, das sagten Augenzeugen später, sei ihm der lange Schwanz bis über die "Labm" herunter gehangen. Der Teufel aber erzählte dem Mädchen lauter lustige Sachen, sodaß dieses aus dem Lachen gar nicht mehr herauskam. Und dabei wäre das junge Ding beinahe "draufgegangen", hätte es nicht der zauberkundige Mann gerettet. Der alte Zodinger kam zum Glück beim Haus vorbei, und ihm gelang es in kurzer Zeit, das Mädchen zu befreien.

Ja, und wie es schon mit dem Erzählen geht, da woben die Leute noch mehr hinein in die ohnehin schon verworrene Geschichte: Von Hexen war mit einemmal die Rede, die sich zu mehreren in der Kammer aufhielten. Ein "Löterl" stieg nun ein, das hatte ein kleines Schächtelchen bei sich, ein "Spadau", wie die Alpbacher sagen. Eine Hexensalbe sei es gewesen, womit er die Unseligen einschmierte, damit sie reiten könnten über Berg und Tal. Sie aber kamen nun ins Lachen, konnten ebenfalls nicht damit aufhören, das war nun unheimlich für alle, die es hörten und nicht mitlachen konnten.

Es war einfach grauenvoll. Auch hier griff in beherzter Weise der Bauer ein und brachte alles zu einem guten Ende.

Und liegt es nun im Wesen der Sage, die Dinge eher zu verschleiern als aufzuklären, so schreckt sie auch vor kühnsten Behauptungen nicht zurück: Da sei der Teufel sogar leibhaftig einmal in der Stube beim Zodinger gewesen und dann ganz plötzlich verschwunden. Er aber, dem der Ruf als Teufelsbanner vorausging, lachte über das Gerede, und hier wiederum gab es Leute, die alles bloß für einen Scherz hielten, den der
Bauer selbst in die Welt gesetzt hätte. Immerhin, viele waren der Meinung, von da ab sei die Bäuerin, seine Frau, ein wenig schwermütig gewesen.

Dann aber sei diesem Menschen noch etwas ganz Eigentümliches passiert. Auf dem Weg von Reith nach Alpbach, nahe der "Achleiten", da setzte sich ihm ganz plötzlich eine Krähe auf die eine Achsel. Er konnte das Tier beim besten Willen nicht mehr abschütteln, sosehr er sich auch bemühte, es loszuwerden. Je weiter er ging, umso schwerer drückte sie ihn. Ja, ihm war, als könne er die Last nicht länger mehr ertragen. Als er jedoch beim "Sterzenhof" anlangte, ertönte von der Alpbacher Kirche her das "Betläuten". Der Mann sprach sein Ave-Maria, wie er es gewöhnt war, da verschwand die Krähe augenblicklich. Erleichtert konnte der Zodinger den Weg fortsetzen.

Bei näherem Betrachten scheint dieser sagenumwobene Mann aber doch sehr stark über dem blinden Aberglauben seiner Zeit gestanden zu sein, denn von ihm stammt der Spruch.

"Boi 's Puiva dafuntn woan is, hod koa Geist meah eppas z'möidtn ghobb!"

Damit meinte er, mit dem Aufkommen des Schießpulvers hätten alle, die sich aus Übermut oder anderen Gründen, Rachsucht, Neid oder Habgier, als Geist herumgetrieben hätten und so die Leute erschreckten, nichts mehr zu lachen gehabt. Dem Vernehmen nach gab es ja nicht nur einen einzigen, der durch eine gut gezielte Kugel als höchst irdisches "Gespenst" entlarvt wurde und von da ab mit einem sichtbaren Gebrechen durchs Leben ging. Derlei Beispiele gab es in alter Zeit immer wieder.

Womit der "alte Zodinger" mit seinem Ausspruch gewiß recht behalten hat.


Quelle: Die Heidin, Alpbacher Sagenbuch, Berta Margreiter, Innsbruck 1986, S. 78f.