Die Maurer-Julie

Noch heute wissen Leute aus dem Alpbachtal die alten Geschichten über die "Maurer-Julie", von ihrem lasterhaften Treiben und ihrem furchterregenden Sterben. Man kann von ihr erzählen, weil es keine Verwandten und keine Nachkommen gibt.

Die Maurer-Julie, eine Wirtin, die ein Gasthaus nahe des Alpbaches betrieb, war als "mannderleutisch" verschrien. Schon von berufswegen kam sie viel mit Männern zusammen, da nützte sie die Gelegenheit zu Liebeshändeln, die ihr keinen guten Ruf einbrachten. Sie war sehr eitel und "hoachgsechn", wie die Leute sagten. Überall im Hause waren Spiegel aufgestellt, darin betrachtete sie sich oft lange und ausgiebig.


Am wenigsten beliebt war sie bei den Frauen des Tales, dies aus ganz naheliegenden Gründen. Man munkelte, daß sie den Wein, den sie ausschenkte, nicht ungern "pantschte", das heißt, mit Wasser vermehrte, zudem machte sie sich an die "Hosensäcke" der Männer heran, um ihnen Geld zu entwenden, wenn diese ihrer Sinne nicht mehr mächtig waren. In ihrem berauschten Zustand wußten sie später nicht zu sagen, was eigentlich geschehen war. Sie selber zechte gern und zeigte sich dann besonders ausgelassen.

Die Julie soll um 1900 gestorben sein. Und mit ihrem Sterben kam das Leutgerede erst recht in Schwung, denn es waren seltsame Umstände, unter denen sie verschied.

Schon während ihrer Krankheit hatte man es sehr schwer mit ihr. Immerzu sah sie ein "Manndl" in Jägerkleidung vor dem Fenster oder auch vor dem Spiegel, der im Schlafzimmer aufgehängt war. Und auffällig war, daß der Kranken gar nicht bange war, vielmehr lachte sie so laut, "ja ganz aus der Weis", daß sie gar nimmer aufhören konnte damit.

Das wiederum fanden die Leute, die sich um die Kranke bemühten, etwas unheimlich. Noch dazu, wenn man bedenkt, daß nur die Julie allein dieses "Manndl", das doch nur der Teufel sein konnte, zu sehen bekam und niemand anderer sonst.

Als die Frau schon etwas älter war und ihre äußeren Reize verblaßten, da fing sie noch ein Liebesverhältnis mit einem Bauern aus Inneralpbach an. Dem schickte sie in ihren letzten Stunden "Post", das heißt, sie ließ ihm die Botschaft zukommen, daß sie im Sterben läge. Er solle doch sofort zu ihr kommen. Diesem vererbte sie dann ein "Gläserkastl", das, wie schon der Name sagt, für die Aufnahme besonders schöner und kostbarer Gläser bestimmt war. Fast in jeder Ehekammer gab es früher so ein Kastl und wurde allenthalben in Ehren gehalten.

Dieses Erbstück der Julie sei dann lange Zeit im Haus des betreffenden Bauern aufbewahrt worden. Sie selbst war nie verheiratet gewesen und hatte auch keine Kinder.

Die "Krummer Lena", das war die Frau, die sie in ihren letzten Lebenstagen pflegte, wußte noch vieles auszusagen: Wie die Kranke völlig außer sich war und von zwei Männern niedergehalten werden mußte. Wie sie, als ihr endlich das Lachen vergangen war, den leibhaftigen Teufel mit Klauen vor sich sah und nun, von Angst gepeinigt, nach christlichem Beistand schrie.

"Holt den Geistlichen!" Dem Vernehmen nach war es ein Kooperator, der sich auf den Weg machte zu ihr. Als er jedoch vom Bach heraufkam, da begegnete ihm ein wildfremdes "Manndl", das ihm sagte, er brauche nicht mehr zur Julie, alles sei vorüber. Der Versehgang sei nicht mehr vonnöten.

Andere wiederum meinen, der Fremde hätte davon gesprochen, der Julie gehe es besser, ja, unerwartet gut, und aus diesem Grund möge der Geistliche ruhig wieder umkehren.

Allem Anschein nach wollte der Unbekannte den Kooperator von seinem Plan abhalten, und tatsächlich ließ sich der Priester überreden. Statt zur Julie ging er zum Bauernhof "Pech" hinauf, denn dort hatte er eine Wöchnerin zum "Aufsegnen". Früher wurden die Mütter nach der Geburt des Kindes daheim aufgesegnet, vorher durften sie nach alter Volksmeinung das Haus nicht verlassen.

Ja, nun wanderte der Kooperator bergwärts, doch kaum war er auf "Pech" angelangt, da erreichte ihn die Nachricht, er würde im Wirtshaus bei der Julie dringend erwartet, er solle doch - um Gotteswillen - ganz sofort kommen.

Nun stellte sich wohl heraus, wer der fremde Mann gewesen war, der einer armen Sünderin die Gnadenmittel der Kirche versagen wollte. Die Julie lebte noch, tobte, schrie.

Eilig ging der Geistliche hinauf in die Kammer der Sterbenden. Er sprengte Weihwasser über sie, segnete, sprengte, segnete, hier durfte mit dem Weichbrunn nicht gespart werden, das fühlte er. Da waren alle bösen Mächte zugegen, denen die Julie in ihrer verderbten Lust gedient hatte; sie ließen sich nicht gern vertreiben.

Drunten in der Stube beteten die Hausbewohner den Rosenkranz. Sie taten es inbrünstig, im Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit, daß er die arme Seele aus den Klauen des Teufels errette.

Hözernes Weihwasserfaß mit Plastikkübel
Hözernes Weihwasserfaß mit Plastikkübel,
Pfarrkirche St. Oswald in Alpbach (Alpbachtal)
© Berit Mrugalska, 26. Juli 2004

Und später sagten die Leute aus, der Kooperator hätte so viel geweihtes Wasser bei der Julie verbraucht, einen ganzen Kübel voll, sodaß es durch die dicken Fußbodenbretter bis in die Stube hinuntersickerte.
Das Bett der Sterbenden aber habe man "patschnaß" vorgefunden.


Doch endlich schien das Werk vollendet, der Geistliche kam die Stiege herab, er zeigte sich zufrieden, denn er sagte: "latz hun i gwunna!"

Die Julie war in Frieden heimgegangen, erlöst von ihrem schweren Leiden und befreit von allen Gewissensnöten. Aber heute noch ist das "Sagen" von ihr:

Wie im Augenblick ihres Hinscheidens sämtliche Spiegel des Hauses hin- und herschwangen, als würden sie von einer unsichtbaren Hand bewegt. Fensterscheiben zerbrachen von selbst, und es donnerte, obwohl die Sonne schien und keine Wolke am Himmel stand.

"So ein sündiger Mensch ist sie gewesen!" sagten viele und bekreuzigten sich. Daß es besonderer Zeichen und Wunder bedurfte, um als warnendes Beispiel zu gelten, darüber gab es keinen Zweifel mehr.

Und was später noch geschah:

Eines Tages, als alles längst vorüber war, ging ein fremder Mann bei diesem Wirtshaus vorbei und fragte, wie es der Julie gehe. Da sagten sie ihm, daß sie längst schon gestorben sei. Diese Antwort verwunderte ihn sehr, denn er schüttelte den Kopf und meinte:

"Na, na, sie huckt ja auf der Labm obn!"

Ob er sich das einbildete oder ob die Julie als Geist noch ihr altes Heim aufsuchte, das bleibt ungeklärt bis auf den heutigen Tag.


Quelle: Die Heidin, Alpbacher Sagenbuch, Berta Margreiter, Innsbruck 1986, S. 107f.