Die drei Kieselsteine

Eine Dame von hohem Adel war einst in "Kindsnöten". Seit Tagen lag sie in den Wehen, doch die Geburt wollte nicht vorangehen. Mehrere Ärzte bemühten sich um sie, doch hier versagte ihre Kunst.

Im Schloß herrschte eine gedrückte Stimmung. Die Diener wagten kaum noch aufzutreten, jedes Lächeln erstarb. Kräuterweiblein kamen und boten allerlei Mittel an, man versuchte dies und jenes, doch alles war vergeblich.

Was sollte man nur machen? Man bangte um das Leben der hohen Frau und bangte um das Leben des Kindes, je mehr die Zeit fortschritt und Hilfe unerreichbar blieb.

Dann - man weiß nicht, wer als erster davon sprach - fiel der Name des alten Hechenblaikners. Ein Bauer sei er auf dem höchstgelegenen Hof der "Neada" über der Hygna, der sei erfolgreich in den Künsten der weißen Magie. Vielen hätte er schon geholfen, und er vermöchte mehr, als ein gesunder Menschenverstand begreifen könne.

"Reitet zu ihm und holt ihn her! Und - sagt ihm auch, worum es geht…!"

Der verzweifelte Schloßherr gebot es, obwohl die anwesenden Doktoren über diese Weisung alles eher denn erbaut waren. Und sie konnten ihren Unmut nicht verbergen. Bald hüb ein Murren an, ein Gezeter über den vermaledeiten Bauerndoktor, der mit dem Teufel im Bunde stünde und dergleichen mehr. Wie konnte der Schloßherr es wagen, sie alle mit ihrem gelehrten Wissen zu verscheuchen, um einem Scharlatan Platz zu machen?

Am liebsten hätten sie augenblicklich die Stätte ihrer Niederlage verlassen, doch die Neugierde hieß sie bleiben. Sie wollten mit eigenen Augen sehen, wie der eingebildete Bauersmann versagte, vor ihrem kritischen Urteil ganz klein wurde, so, wie sie ihn haben wollten.

"Irgendwann kommt die Stunde der Abrechnung", sagten sie untereinander, "wir lassen uns das nicht bieten!"

"Lug und Trug und Teufelspakt, was weiter?"

Alle redeten sich in hellichten Zorn hinein. Fast hätten sie dabei auf die Wöchnerin vergessen, die halb besinnungslos ihren Nöten überlassen blieb. Der Bote aber mußte reiten, durch unwegsame Wälder und Auen, ein Zeitlang den Inn entlang, dann hinauf in die Berge zu Fuß, bis er den Hof erreichte.

Dort traf er den Bauern beim Ackern, dieser nahm sich kaum die Zeit, seine Hände von dem gröbsten Schmutz zu säubern und sich in ein besseres Gewand zu werfen. Die Zeit drängte, alles andere war nebensächlich.

Endlich kam er im Schlosse an. Die Haare fielen ungekämmt in seine Stirn, an den Schuhen klebten Lehmbrocken und Erde. So stapfte er, in diesem Aufzug, geradewegs auf das Bett der Wöchnerin zu. Sie - stöhnend vor Schmerzen - stieß sich nicht an solche Äußerlichkeiten, sie war auch wohl zu müde und zu matt hiezu. Sie tat nur einen Blick in die hellen, überhellen Augen des Bauern, dann schloß sie die ihren und überließ sich ihm, dem Vielumstrittenen, den sie noch nie vorher gesehen hatte.

"Ihr müßt Vertrauen zu mir haben und alles tun, was ich Euch sage!"

Die unbekannte Stimme rief sie wie aus weiter Ferne, nur unklar spürte sie den tiefen, dunklen Klang, gleich dem einer Glocke. Irgendwie traf es an bereits verschlossene Pforten, doch als er sie von neuem rief, kam sie ein wenig zu sich und nickte gottergeben.

"Tauschet Euer Hemd mit mir, das ist das erste!"

Das war keine Bitte, eher ein Befehl, hinter dem ein seltsamer, fanatischer Wille stand. Ein Raunen breitete sich aus unter den Ärzten, die Hebammen stießen sich gegenseitig an und rümpften, schon den gelehrten Herren zuliebe, verächtlich ihre Nasen. Was fiel dem dummen Bauern ein? Welche Anmaßung und welch widerliche dazu!

Doch der Schloßherr äußerte sich nicht, und die vornehme Frau streifte, plötzlich lebhaft geworden, mit einer einzigen Bewegung ihr feines, spitzenbesetztes Hemd vom Leib, als wäre dies die größte Selbstverständlichkeit. Sogleich aber bedeckte sie ihre Blöße mit dem groben Leinenhemd des Hechenblaikners, das wohl sauber, doch ganz vom Schweiß durchnäßt war.

Jetzt nahm der Mann drei Steine aus seiner Hosentasche. Es waren ganz gewöhnliche mittelgroße Kieselsteine, wie man sie in jedem Bachbett finden konnte. Einen Augenblick lang wog sie der Bauer in seiner schwieligen Hand, gleichsam prüfend, ob auch Kraft genug in ihnen sei, dann wandte er sich an die Wöchnerin:

"Diese Steinchen müßt Ihr schlucken, alle drei!"

Auch diesen Auftrag erfüllte sie gehorsam, die Augen fest auf ihn gerichtet.

Im Gemach war alles still. Alle erwarteten, daß die Frau nun vor Schmerzen zu schreien begänne, sich zumindest gegen das Ansinnen gesträubt hätte, doch nichts dergleichen war geschehen.

Ja, ganz im Gegenteil! Nun ging die Geburt so rasch und mühelos vor sich, daß die zunächst stehende Hebamme alle Mühe hatte, das Neugeborene mit ihren Händen aufzufangen. Alles andere war dann wie üblich: das Trennen der Nabelschnur, der erste Schrei des Kindes, eines frischen, kerngesunden Knaben!

Ach, nicht genug konnte der Vater das rosige Gesichtchen betrachten, den flaumigen Ansatz der Haare, während die Mutter still und glücklich, ganz entspannt in ihren Kissen lag. Man legte das Kind einen Augenblick lang zu ihr, und da entdeckte sie, wie eines der beiden Händchen sich seltsam ballte, so, als hätte es etwas ganz und gar Ungewöhnliches zu bergen!

Man öffnete ganz vorsichtig die kleine Faust, und da - erblickten alle die drei Steinchen, jene, die vor wenigen Minuten die adelige Frau geschluckt hatte.

Das alles erregte natürlich Erstaunen über die Maßen. Es gab wieder genugsam Redestoff für jetzt und später, man sprach von Sinnestäuschung und Gaukelei, von Zauberkunst, und nicht zuletzt war es wieder einmal der Teufel, der bei allem seine Hand im Spiele hatte!
Nun, der Hechenblaikner vernahm noch einiges, aber schon wandte er sich ab, es gab für ihn nichts mehr zu tun. Ob er für seine Hilfe einen Dank annahm in Form von klingenden Münzen, das wurde nicht überliefert.

Gewiß aber war das eine: die Ärzte, die diesen Vorgang mit eigenen Augen verfolgt hatten, nahmen sich nun erst recht vor, dem ungeschlachten Bauern einen Denkzettel zu verabreichen, den er so bald nicht mehr vergessen würde. Wohl wußten sie, daß der Bauerndoktor bei armen Leuten niemals Bezahlung oder sonstige Geschenke annahm, doch minderte dieser Umstand in keiner Weise ihren Zorn. Der Ruhm war es ja, den sie ihm neideten!

Und er? Nun, er kümmerte sich weder um die feindseligen Mienen der gelehrten Herren, noch beachtete er die scheuen, teils auch bewundernden Mienen der Dienerschaft. Er eilte aus dem vornehmen Schloß mit seinen genagelten Bergschuhen, daß es nur so dröhnte, bestieg sein Pferd und ritt heimzu.


Quelle: Die Heidin, Alpbacher Sagenbuch, Berta Margreiter, Innsbruck 1986, S. 70ff.