Der alte Gasteiger

Ein alter Gasteigbauer, der sehr vermögend war und in einem alten Strickstrumpf sein Geld verwahrte, vertraute einem Nachbarn allzusehr und zeigte ihm das Versteck in der Kammer, von dem sonst niemand wußte.

Kurze Zeit danach war der Strumpf verschwunden, alles Geld gestohlen.
"Das hat der Unterlintacher getan", dachte der Gasteigbauer. "Wie kann man nur als Nachbar so diebisch sein!"

Dieser Unterlintacher, von dem hier die Rede ist, hat mit dem heutigen Geschlecht auf dem Hof nicht das geringste zu tun. Das Gut kam durch Verkauf längst in andere Hände, auch liegt dieser Vorfall an Jahren weit zurück.

Was der Nachbar vielleicht nicht wußte, war der Umstand, daß sich der Bestohlene auf die Kunst des "Bringen-machens" verstand. Und weil er sich so schändlich hintergangen fühlte, wollte er dem Unterlintacher auch die Schande nicht ersparen. Er zwang ihn dazu, das Geld ausgerechnet zur "Marendzeit" zurückzubringen, als alle Leute auf Gasteig in der Küche versammelt waren.

Und wie er nun verlegen und beschämt den mit Geld gefüllten Strickstrumpf auf den Tisch legte, da waren die Angehörigen und Dienstleute des Bauern nicht wenig erstaunt und entrüstet. Dem Dieb aber mochte dieses wohl eine Lehre für sein ganzes Leben sein.


Quelle: Die Heidin, Alpbacher Sagenbuch, Berta Margreiter, Innsbruck 1986, S. 69f.