Die drei Brüder

Ein Bauer in Reut, wo es von Unken nach Lofer geht, hatte drei Söhne. Die zwei Älteren waren nicht viel nutz, weder zum Arbeiten noch zum Kirchengehen; ihre größte Freude war das Wildern. Der Jüngste war der Bravste, blieb mehr daheim und mochte auch mehr arbeiten als die andern; aber böses Beispiel verdirbt gute Sitten, und wenn sie ihm recht zusetzten, ging er halt auch mit aufs Wildschießen. Einmal waren sie alle drei am Sonntag ausgezogen, vor Tau und Tag, und waren schon hoch droben im Gewand, wie es zu tagen anfing und in Unken das Frühgeläut erscholl. Der Jüngste meinte: sie sollten doch umkehren, daß sie noch recht zur Kirche kämen, aber die Brüder wollten nicht - da ging er auch nicht. Sie kletterten noch höher, derweil läutete es in Unken zum Gottesdienst.

Der Jüngste riet nochmal zum Umkehren; die Älteren aber lachten dazu und sprachen: "Wenn das Gamswild pfeift, das ist viel feiner als wie das Glockengebimmel und dem Pfaffen seine predigt." Also stiegen die Drei vollends hinauf und standen droben auf dem schwindeligen Grat - da läutete es drunten zur Wandlung. Dem Jüngsten schlug ein bißl das Gewissen. Er klopfte an die Brust und sagte: "Hört'S Buben, jetzund ist's zur Wandlung; wir hätten leicht doch umkehren sollen." Der Zweite aber meinte: "Wandlung hin, Wandlung her!" - und der Älteste lachte: "Ein leibiger Bock da herobn ist mir lieber wie da drunten des Herrgottsleib!"

Alsobald sie das gesprochen hatten, ward es ganz finster ringsum, und ein schweres Gewitter stieg übers Gebirg herauf. Als die dunklen Wolken ihnen auf die Köpfe sanken, und es furchtbar zu donnern und zu blitzen anhub, ward den drei Wilderern angst; sie hätten gern flüchten mögen, aber sie brachten die Füße nicht vom Fleck. Sie wollten schreien, aber es kam kein Ton heraus, und übrigens hätte es in dem Wettergetös und Gebraus auch niemand gehört.

Hugo Grimm,  Die drei Brüder

Wie dann das wilde Wetter vorüber war und der Himmel wieder klar wurde, da standen die Drei noch droben auf dem Grat, aber versteinert, als drei unförmige Felsgestalten. Und so stehen sie noch heut und sind allen beuten im Tal als die "Drei Brüder" bekannt.

Quelle: Tiroler Legenden, Helene Raff, Bilder von Hugo Grimm, Innsbruck 1924, S. 145ff