DER WECHSELBALG

Am Fuße des Schloßberges zu Wildon quillt zwischen den grünen Wiesen eine kleine Quelle, vom Volke das Drudenbrünnlein genannt, hervor. Hier soll es zeitweilig spuken, und Irrwische, Hexen, Wettermacher, Strigholden und Werwölfe sollen da in gewissen Nächten ihr böses Unwesen treiben. Auch war diese Quelle lange der Lieblingsaufenthalt einer bösen Drude, welche stets von einem kleinen, dicken, häßlichen Buben begleitet war.

Einst ritt ein Ritter von Wildon in mondheller Nacht den Schloßweg hinab. In Gedanken vertieft, sah er nicht, daß am Drudenbrünnlein ein häßliches, altes Weib saß, welches Steinchen in den Bach warf, Blumen abriß und mit einem Stocke das Wässerchen zu trüben sich bemühte. Des Ritters Pferd hätte unfehlbar das Weib niedergetreten, wenn nicht aus dem nahen Dickicht ein kleiner, häßlicher Junge hervorgesprungen und dem Pferde in die Zügel gefallen wäre und so dieses zum Stehen gebracht hätte. Drohend stellte sich die Alte, auf ihren Stab gestützt, hart vor das Pferd hin und sprach: "Herr Ritter, viel Glück auf den Weg und Heil Euerem Kinde! Gedenket dieser Stunde und reitet fortan vorsichtiger umher!" Da lachte der häßliche Bube, und auf einmal waren beide verschwunden. Der Ritter aber sprengte, von Schauer ergriffen, rasch von dannen.

Bald danach wurde er mit einem Knäblein beschenkt. Als der hocherfreute Vater dieses das erstemal in die Arme nahm, ertönte ein gellender Pfiff, und es deuchte dem Ritter, als ob die Alte vom Brunnen durch den dunklen Gang des Vorhofes daherschleiche; doch beachtete er diesen Umstand nicht. Und als bald darauf die Taufe des Knäbleins festlich begangen wurde, bemerkte der Ritter abermals die häßliche Alte, welche trippelnd durch die Zimmer huschte und im Schlafgemach der Schloßherrin verschwand. Er eilte ihr nach, sah sie aber nicht mehr. Des Nachts dann, als der Ritter zu Bette ging, schlüpfte das Drudenbüblein durchs Fenster in das Zimmer und drückte den Schlafenden. Dieser hatte gar furchtbare Erscheinungen und wachte darüber auf. Voll Besorgnisse, es könnte der Mutter und dem Kinde etwas zugestoßen sein, begab er sich in das Schlafgemach seiner Frau und - o weh! anstatt des zarten Söhnchens lag in den Armen der Mutter ein braunes, rothaariges Kind. Der Ritter erkannte augenblicklich, daß hier die Hexe vom Brunnen ihre böse Hand im Spiele gehabt und das Kind ausgetauscht habe; er wollte den abscheulichen Wechselbalg zum Fenster hinauswerfen, was aber die Schloßfrau, die darüber erwacht war, durchaus nicht zuließ. Wohl weinte sie ihrem Kinde bittere Tränen nach, doch hatte sie Mitgefühl mit dem fremden und zog es auf, als wenn es ihr eigener Sohn wäre.

Die Kunde von diesem Vorfalle flog bald durch das Land nach allen seinen Richtungen. Der Ritter sandte überall seine Knappen und Diener aus, um das verschwundene Kind wieder zu finden.

Als diese unverrichteter Dinge zurückkehrten, machte der betrübte Ritter selbst sich auf, sein Knäblein zu suchen. So kam er denn auch nach Obersteiermark, wo er in einer rußigen Köhlerhütte Schutz und Obdach vor den Unbilden eines stürmischen Wetters suchte. Freundlich trat ihm die Köhlerin entgegen, auf dem Arme ein allerliebstes Knäblein haltend. Der Ritter erkannte sogleich dieses Kind als sein eigenes, denn es hatte seine Gesichtszüge und auf der linken Wange ein kleines, ihm sehr bekanntes Mal. Es war und konnte nur dies sein vermißtes Söhnchen sein, und er drückte das Kind heiß und innig an seine Brust. Dann fragte er die Köhlersleute, ob der Knabe ihr eigenes Kind sei. Diese verneinten. die Frage, und die Köhlerin erzählte, daß sie ein rothaariges Büblein gehabt, welches aber von unbekannter Hand gegen das zarte Knäblein ausgewechselt worden war. Der Ritter erzählte nun hocherfreut, daß auch ihm sein Kind ausgetauscht worden, und daß des Köhlers Söhnchen daheim auf seinem Schlosse Wildon sich wohl befinde.

Bald darauf empfingen die Köhlersleute ihren rothaarigen Buben. Dieser folgte, als des Ritters Söhnchen zum stattlichen Jünglinge herangewachsen war, dem jungen Schloßherrn als treuer Knappe und begleitete ihn stets in allen Kämpfen und auf allen Zügen.

Von der bösen Alten am Drudenbrünnlein und ihrem häßlichen Buben hatte man seitdem nichts mehr vernommen, sie auch niemals wieder in der Gegend des Schloßberges von Wildon gesehen.

Sagen aus der grünen Mark, Hans von der Sann, Graz 1911