Vorwort

Unsere Steiermark, nicht ohne Grund die „ewig grüne“ genannt zeichnet sich nicht allein durch ihre Naturschönheiten und Reichtümer, sondern auch durch die Sitten und Gebräuche, durch die Sagen und Legenden ihrer Bewohner aus. Einstens war das Land an diesen Überkommnissen aus der Altzeit weit reicher denn jetzt, es ist davon leider schon Vieles der Vergessenheit anheimgefallen; aber noch immer ist der uns gebliebene Rest ein ansehnlicher und er verdient es, gesammelt und als einiges Maß für das geistige Leben des Volkes der Geschichte seiner Kultur bewahrt zu werden.

Liebliche Legenden knüpfen sich an den Ursprung der ältesten Gotteshäuser und Stifte, deren Mönche zuerst den Samen der Kultur unter dem rauhen Volke ausstreuten; um die mächtigen Zwingburgen, davon jetzt meist nur lose Trümmer als Zeugen der Vergänglichkeit aller irdischen Größe und Herrlichkeit von den schroffen Felsenspitzen öd und traurig in die Tiefe, auf die lachenden Gefilde der Täler, hinabstarren, rankt sich der Efeu der Sage und erzählt der Nachwelt bald Heimliches, bald Schauriges von ihren einstigen Besitzern; Sagen von den Wälsch- oder Venediger-Männchen, die das Innere unserer Berge durchwühlten, erzählen von den mächtigen Erzlagern, daran unser Land so reich ist; fabelhafte Tiergestalten hausen in den unterirdischen Klüften der Felsengebirge; gespenstische Erscheinungen halten Wache bei verborgenen Schätzen oder spucken zur Sühne schwerer Lebensschuld um die mitternächtige Geisterstunde, bis eine mitleidige Seele ihnen die Erlösung bringt; in zahlreichen Mythen von Berg- und Wassergeistern, von Waldfeen und Wildfrauen, von der Perchtl, der Trude u. s. w. spiegelt sich der Glaube, die Naturreligion unserer Vorfahren, und auch die vielfachen Sagen vom Teufel und seinen Brüdern deuten auf einen ausgebreiteten, altheidnischen Dämonenkultus hin, dem die wackern Bewohner unserer Berge und Täler einst in längstvergangener grauer Vorzeit gehuldigt.

So spiegelt sich denn in der Überlieferung des Volkes ein wichtiges Stück des Lebens unserer Väter im grauen Altertume ab, es ist die Volkstradition, in ihrer Eigenheit eine Art Geschichte.

Seit Jahren den Zwecken des historischen Vereines für Steiermark mit Vorliebe dienend und von diesem mit dem Ehrenamte eines Bezirkskorrespondenten betraut, war ich redlich bestrebt, mein Scherflein zur Erforschung der Heimatkunde, der Geschichte des Landes, insbesonders nach der Kulturseite hin, beizutragen. Meine lehrämtliche Stellung, u. z. an den verschiedensten Orten des Landes, wie auch meine in die einzelnen Gegenden des Landes unternommenen Exkursionen ermöglichten es mir, in direkten und innigen Verkehr mit der Bevölkerung zu treten. Ich beobachtete die Sitten und Bräuche der Bewohner der einzelnen Orte und Gegenden, ich lauschte mit besonderer Vorliebe den Mythen- und Sagenklängen derselben und sammelte diese im Munde des Volkes lebenden Erinnerungen, um den noch immer kräftigen Pulsschlag früheren Volkslebens fortzupflanzen, damit sich auch unsere Nachkommen an seiner belebenden Frische stärken, an seinem ureigenen Dufte laben können, und damit das unschätzbare Material, welches darin zum Studium des Kulturlebens unserer Vorfahren enthalten ist, späteren Forschern nicht gänzlich verloren gehe. Ich hielt mich hierbei zumeist nur an solche Leute, von denen ich annehmen konnte, daß sie gleichsam als lebendige Sagenquellen gelten dürften. Besitzer einsamer, abgelegener Bauerngehöfte und Dienstleute derselben, Jäger, Holzknechte, Köhler, Bergleute, Wildschützen, Schwaigerinnen, Wurzelgräber und Kräutersammlerinnen, kurz Personen aus allen jenen Schichten der unteren, noch sehr dem Glauben und Brauch aus alter Zeit ergebenen Bevölkerung, welche unser P. K. Rosegger in seinen so anmutenden Schriften als den Kern des „stoansteirischen“ Volkes aufstellt, waren es, deren Erzählertalent ich erprobte, um das zu erfahren, was ihnen in ihrer Jugend von den Eltern und Ahndeln tief ins Herz eingeprägt worden. Die Jugend, die mir zwar am nächsten stand, zog ich nicht zu meinen Zwecken heran und zwar der geringen Verläßlichkeit wegen als auch sonst ans triftigen Gründen; höchstens daß eine oder die andere zufällige Mitteilung mir einen Fingerzeig gab, wo und wie ich nähere Nachforschung zu Pflegen hätte. Dagegen suchte ich aber immer die ältesten Leute eines Ortes oder einer Gegend mit Vorliebe auf; ich lernte erfahrungsgemäß erkennen, daß gerade diese mehr, ja oft einzig und allein von gewissen Begebenheiten, von Sagen, Bräuchen u. s. w. eine genaue Kenntnis hatten. Nicht selten hörte ich von diesen Leuten die Klage, daß der junge Nachwuchs auf das Alte nichts mehr gäbe, davon nichts mehr halten - für mich eine ernste Mahnung, desto eifriger zu forschen, meine Quellen möglichst rasch und gründlich auszubeuten. Rasch tritt der Tod den Menschen an und wer kann es wissen, wie bald das letzte Stündlein schlägt für den lebensmüden Greis! Und wenn dessen Leib der Muttererde übergeben wird zur ewigen Ruhe, wird in den meisten Fällen auch ein gut Stück des Volksglaubens eingesargt, mit begraben für immer und verloren auf ewig für die Wissenschaft, wenn nicht noch rechtzeitig der Forscher die kurze Spanne Zeit auszunützen verstanden hat.

Die erfreulichen Ergebnisse, die ich erzielte, veranlaßten mich, auch meine Amtskollegen anzueifern, gleichfalls die Blätter vom Baume der Volkssage zu pflücken, ehe sie welken und abfallen. Eine von mir im Jahre l876 veröffentlichte und von der hohen k. k. Landesschulbehörde in circa 1000 Exemplaren an die steirische Lehrerschaft verteilte Broschüre: „Der Lehrer als Förderer der Heimatkunde“ hatte u. a. auch für die heimische Sagenforschung befriedigende Erfolge; aus verschiedenen Gegenden des Landes wurde mir von einzelnen Lehrern manches brauchbare, manches wertvolle Produkt ihres Sammelfleißes eingesendet.

Um nun das so erhaltene Material nicht brachlegen zu lassen, ja um einigermaßen durch die bisherigen Resultate weitere Forschungen anzuregen, veröffentlichte ich einen Teil der aus der mündlichen Überlieferung übernommenen Mythen und Sagen in verschiedenen Journalen; es sollen die wichtigeren dieser Arbeiten, da sie als Beitrag zur Quellenliteratur der steirischen Volkssagen und gleichsam auch als Vorarbeiten zu den „Mythen und Sagen aus dem steirischen Hochlande" gelten können, an dieser Stelle namhaft gemacht werden: „Kleine Beiträge zur Lindwurmsage in Steiermark“. Graz. Zeit. Nr. 43, 1875. — „Türkenfeld und Blutsattel“. Graz. Zeit. Nr. 34, 1876. — Aus Neumarkt.“ Graz. Zeit. Nr. ad 41 u. 42, 1876. — ,,D' schwarz' Lack'n“. Graz. Zeit. Nr. ad 65, 1876. — „Das Brunnerkreuz“. Graz. Zeit. Nr. 167, 1876.- „Der Alb’rer. Graz. Zeit, Nr. 39, 1876.— „Sagen aus dem Welzerthale". Graz. Zeit. Nr. 115 n. 116. — „Mythen und Sagen aus Obersteiermark“. Graz. Zeit. Nr. 243 — 257, 1877, —„Schlangensagen in Steiermark“. Die Heimat Nr. 39, 1879. „Lindwurmsagen in Steiermark“. Die Heimat Nr.51, 1879.— „Weihnachten im steirischen Hochlande“. Graz. Zeit. Nr. 293, 1879 bis Nr. 3, 1880. — „Bergmannssagen in Steiermark“ Die Heimat Nr. 12, 15 u. 25>, 1880. — „Der Wahnsinnige“. Leobner Wochenblatt Nr. 15 — 17, 1880. — „Legenden aus den steirischen Bergen“. Die Heimat Nr. 35, 38 u. 44, 1880. — „Sagen aus Steiermark“. 32. Bändch. der österr. Volks- und Jugendbibliothek, Verlag von A. Pichlers Wittwe & Sohn.

Die freundliche Aufnahme, welche diese Veröffentlichungen im Lese-Publikum fanden, ermunterten mich zur Herausgabe eines größeren Werkes über die Voltssagen im Steirerlande zu schreiben, als dessen erster Teil gleichsam die „Mythen und Sagen aus dem steirischen Hochlande“ angesehen werden mögen.

Wenn ich außer den dem Volksmunde entstammenden Überlieferungen auch mancher, bereits in der literarischen Welt bekannten, gedruckten Quellen entlehnten Sage einen Platz in diesem Buche einräumte, so geschah dies, weil es Absicht war, von Mythen und Sagen nicht nur das bisher Unbekannte oder unbeachtet Gebliebene, sondern Alles dieser Art in möglichster Vollständigkeit zu bringen, und ich daher das Material, wo immer es zu finden war, in meine Sammlung einbeziehen mußte.

Was die Fassung und die Form derselben betrifft, folgte ich der aus meinen Zwecken und aus der Sache selbst sich natürlich ergebenden Richtschnur. So ließ ich dem, was mir ans dem lebendigen Quell des Volksmundes floß, seine eigentümliche und ursprüngliche Farbe, mithin auch dann den dialektischen Ausdruck, wenn er wesentlich war. Was sich in geschriebenen und gedruckten Quellen selbst als Mythe und Sage gab, blieb selbstverständlich unverändert. Was ich aber kunstpoetisch bearbeitet vorfand, dem ließ ich zwar die dichterische Seele, gab ihm aber das schlichte Kleid der ungebundenen Rede, Was ich endlich in keiner andern Form, als zur Erzählung ausgesponnen, überkam, ließ ich nur dann unbeschnitten und unverkürzt, wenn sich der sagenhafte Kern von selbst aus der Schale abhob.

Eröffnet habe ich den Reigen der „Mythen und Sagen aus dem steirischen Hochlande“ mit den historischen Ortssagen. Zwar wurde schon mehrfach die Behauptung aufgestellt, es dürfen heutzutage Volkssagen bloß zu dem Zwecke gesammelt werden, um Beiträge für das mythologische Studium zu bieten. Doch hat die historische Sage auch ihre Berechtigung, ihr Wert für die Geschichte wurde schon oft von hervorragenden Männern dieser Wissenschaft ausgesprochen, und aus diesem Grunde wie auch, daß die Steiermark noch keine separate Sammlung ihrer historischen Sagen und Legenden besitzt, wurden diese von mir in das Buch aufgenommen.

Eine ausgesprochene Einteilung des Inhaltes in bestimmte Gruppen habe ich aus mehrfachen Gründen unterlassen; vor Allem wollte ich dem Buche wie auch dessen Lesern nach verschiedenen Richtungen hin eine freie Stellung wahren. Damit will jedoch nicht gesagt sein, daß die Mythen und Sagen regellos unter einander vermischt worden; sie erscheinen vielmehr in eine systematische Reihenfolge gebracht, nämlich stofflich, oder besser gesagt, nach der Sinnverwandtschaft geordnet und zwar nicht ohne einige Rücksicht auf die Anschauungen des Volkes in dessen Munde ja eigentlich die Sage selbst lebt.

Ein möglichst ausführliches Sachregister, wie auch ein Ortsregister, welches nicht allein die örtlichen Benennungen in alphabetischer Reihenfolge anzeigt, sondern auch eine Einteilung der Mythen und Sagen nach Ortsgemeinden und nach den Bezirken der gegenwärtigen Landeseinteilung enthält, sollen die Benützung des Buches erleichtern.

Für die Jugend sind die Mythen und Sagen aus dem steirischen Hochlande nicht geschrieben, es darf ihr das Buch aus nahe liegenden Gründen auf keinen Fall zum selbstständigen Gebrauch in die Hand gegeben werden. Dagegen werden Eltern und Lehrer, denen die Sage ein unendlich wichtiges Erziehungs- und Bildungsmittel für die erste Zeit der Jugend ist, daraus, nachdem sie mit weiser Vorsicht jede einzelne Mythe und Sage gesichtet, genügenden und erwünschten Stoff für ihre Zwecke schöpfen können; denn wo die mündliche Überlieferung aufhört, muß die gedruckte ihren Platz einnehmen. Aber auch der Forscher, für den in den Mythen und Sagen die innere Geschichte der Naturreligion unserer Väter liegt, für den die Volksüberlieferungen die Grundlage zu einer Geschichte des menschlichen Dichtens und Glaubens bilden, wird in dem Buche mancherlei willkommenen Stoff finden.

Zum Schluße sehe ich mich noch veranlaßt, einer angenehmen Pflicht nachzukommen, nämlich meinen verbindlichsten und innigsten Dank allen jenen hochgeschätzten Herren und Freunden der heimischen Sagenforschung auszusprechen, welche mir bei der vorliegenden Arbeit ihre wirksame Unterstützung und Beihilfe angedeihen zu lassen die Güte hatten, und zwar in erster Linie dem k. k. Regierungsrat Dr. Richard Peinlich, ferner dem Missar Anton Meixner und steierm. Landesarchivs-Direktor Dr. Josef von Zahn, endlich auch allen Jenen, deren Namen im Quellenverzeichnisse angeführt erscheinen. Bei dieser Gelegenheit spreche ich auch dem Herrn Verleger Carl Jilg sowohl für sein freundliches Anerbieten der Verlagsübernahme der „Mythen und Sagen aus dem steirischen Hochlande“, als auch für die elegante Ausstattung an dieser Stelle meine Danksagung und Anerkennung aus.

Und so möge denn auch dieses Buch ein Scherflein zur Geschichte des Denkens und Glaubens der biedern Bewohner im steirischen Hochlande beitragen und ebenso freundlich entgegengenommen werden, als es geboten ist.

Eisenerz, im November 1880.

Johann Krainz.

Quelle: Johann Krainz, Mythen und Sagen aus dem steirischen Hochlande, Bruck an der Mur 1880. S. VII - XII.
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