268. Der Seemann.

Der reiche Fischer Friedl am Grundelsee hatte eine Tochter, Namens Gunde, Diese liebte den hübschen Jägerburschen Anton, womit aber der alte Friedl nicht einverstanden war. Anton war arm, und wenn auch ihm keine Gemse entging, so hatte dies doch für Gundens Vater keinen Wert. Als dieser daher einst das Liebespaar hinter einem Haselstrauche belauschte, und dann die Beiden überraschte, hieß er Anton seiner Wege gehen und es nicht mehr wagen, mit seiner Tochter fernerhin zu verkehren.

Doch des alten Fischers Worte waren in den Wind gesprochen. Die heimliche Liebschaft dauerte fort, und als dann Friedl krank wurde und Gunde für ihn den See befahren und fischen mußte, fand sich Anton jedesmal ein und nahm im Schiffe neben ihr Platz.

Einst wandelte Anton, nachdem er seine Gunde nach Hanse begleitet hatte, allein am Ufer des Grundelsees entlang. Da kam ihm die Lust zum Fischen an und er warf sein Netz aus. Bald schäumte das Wasser auf und ein schweres Ding schien sich im Netze zu spreizen, so daß Anton kaum im Stande war, den Strick festzuhalten; er stemmte sich mit den Füßen gegen einen Felsen und zog mit größter Anstrengung das Netz ans Land. Aber bald wäre ihm dieses wieder entfahren vor Entsetzen über den gemachten Fang. Es war kein Fisch, was Anton im Netze gefangen, sondern ein grüner Mann von mittelmäßiger Größe mit dünnen Haaren und Schuppen über dem Rücken; die Finger und die Zehen der schwachen Füße waren mit einer Entenhaut versehen. Anton sah, daß er den Seemann gefangen, bekreuzte sich und zog die Beute vollends ans Land. Dann sprach er das seltsame Geschöpf an, doch der Seemann fletschte mit den Zähnen und rollte mit seinen roten Augen gar fürchterlich, gab auf gute und schlimme Reden keine Antwort und strebte mit aller Gewalt, wieder in den See zu kommen. Darüber erbost, fiel Anton über das Geschöpf her und peitschte es derart, daß dasselbe recht bitterlich zu weinen anfing und endlich Antons Mitleid erregte. Er hörte auf, den Seemann zu schlagen, band ihn mit einem Gurte Hände und Füße, lud den Gefangenen auf seine Schulter und trug ihn heim in seine Hütte, die hinter dem Berge lag.

Die erste Nacht war der Seemann sehr unruhig, besonders das Herdfeuer in der Hütte des Jägers schien ihm großes Entsetzen einzuflößen. Am Tage darauf wurde er schon ruhiger, verzehrte mit voller Gier die ihm vorgesetzten Fische und wurde bei Antons freundlichen Worten zutraulicher, ja sogar anhänglich. Da der Jäger sich überzeugte, daß der Seemann viel Gliedergewandtheit besitze und nur die Füße zu jeder schnellen Bewegung ungelenk seien, so ließ er ihn frei im Haus und Wald neben sich herumgehen; bald konnte er ihn auch zu allerlei kleinen Verrichtungen gebrauchen. Der Seemann aß gerne und trank mit besonderem Wohlbehagen starte Getränke; er verstand auch bald jedes Wort, das Anton zu ihm sprach und lernte selbst ziemlich geläufig reden. Nur wenn er irgend wo eine Lacke sah, so stürzte er sich wie närrisch hinein und konnte nur mit Gewalt wieder herausgetrieben werden.

Als Anton daher wieder seiner Gunde einen Besuch abstattete, nahm er den Seemann mit, doch führte er ihn an einer leichten Kette, welche Vorsicht als eine gute sich erwies, denn beim Anblicke des Sees brach der Gefangene in ein wildes Geheul aus. Der Jäger brauchte gute Worte, und bald wurde der Seemann wieder ruhig. Gunde entsetzte sich anfangs, als sie das sonderbare Geschöpf sah, doch verlor sie bald jede Furcht, als sie erkannte, wie folgsam und sanft der Wassermann gegen Anton war.

Der Jäger gewann seinen Gefangenen mit jedem Tage lieber, es wurde ihm dieser immer mehr von Nutzen. Eines Abends zerrte er Anton, der eben ans die Jagd ging, mit allen Zeichen der Freude tief in den Wald hinein. Sie kamen in wilde Klüfte und an ein kleines Bächlein, das sich durch das Dickicht seinen Weg bahnte und auf einmal plötzlich versiegte; ein Rudel Hirsche lagerte sich hier und löschte seinen Durst. Anton spannte seine Armbrust und der Pfeil saß einem Zwanzigender im Buge. Freudig eilte der Jäger zum sterbenden Tiere, stolperte aber über morsches Holz, fiel und verwundete sich. Er führte den blutigen Daumen zum Munde und saugte an der Wunde; das Blut schmeckte salzig. Da verkostete Anton von dem Wasser, auch dieses war salzig. Anton erkannte, daß hier eine Salzquelle sich befinde, und vor Freude über diese Entdeckung umarmte er seinen grünen Diener, den Seemann.

Die Auffindung der Salzquelle wurde dem Landesfürsten gemeldet. Dieser sandte erfahrene Bergleute ab, und bald tönten Fäustel und Schlegel in den Stollen des Sandlings; die reichen Salzgruben, die schon von den Heiden betrieben worden, wurden wieder aufgefunden, Anton erhielt zum Lohne für die Auffindung der Salzquelle die Aufsicht über die weiten Holzschläge und wurde so ein ansehnlicher Mann; er hatte nun den Wassermann doppelt so lieb, denn ihm verdankte er ja eigentlich sein Glück. Aber der Wassermann machte sich noch in einem anderen Falle besonders nützlich.

Es wurde nämlich bestimmt, daß das zu errichtende Pfannhans gerade am Fuße des salzhaltigen Berges erbaut werden sollte. Arbeiter kamen, und es wurde rüstig und lustig gebaut, daß der Lärm und Schall davon bis zum Koppen hinüberklang. Da bedeutete der Seemann dem Anton, daß für den Bau eine unpassende Stelle gewählt worden; der Boden sei da von Quellen sehr durchnäßt, und würde daher das Pfannhaus keinen langen Bestand haben. Man untersuchte nun den Bauplatz und fand, daß der Seemann recht hatte. Nun wurden die Pfannhäuser weiter vorn, an der Traun errichtet; um ihnen erhoben sich allmählich andere Gebäude und auf diese Weise entstand der Markt Aussee. Von da an galt der Rat des Seemanns, der bald von Allen gerne gesehen wurde, sehr viel; man schätzte besonders seine Kenntnis der Wasserstellen im Boden.

Anton hatte also einen sehr glücklichen Fang getan, als er damals mit seinem Netze den Seemann gefangen. Er war ein ansehnlicher und auch ein reicher Mann geworden, dem nun der alte Fischer Friedl nicht mehr die Hand seiner Tochter zu verweigern sich getraute. Es wurde also Hochzeit gemacht. Alles schmückte sich hiezu und auch dem Seemann hatte man ein neues Wams angeschafft, worüber erfreut er gar possierlich hin- und hersprang, so daß Jung und Alt sich daran ergötzte. Die Hochzeitsleute mußten, um zur Kirche zu gelangen, den See entlang gehen. Der Seemann hüpfte lustig zwischen den Zitherschlägern, aber mit einem Male hielt er inne, wurde ernsthaft und rief:

„Vieles habt Ihr mich gefragt,
Was ich Euch recht gern gesagt;
Aber wie man Altes neu,
Und wie man Gold wohl macht aus Spreu,
Wie man liebt im Wasser sich,
Das behalt ich noch für mich!“

Und mit einem Sprunge, mitten durch die Hochzeitsleute, war er im Wasser - und verschwand.

Anton und Gunde lebten glücklich miteinander. Oft fuhren sie, wie einst, da sie sich nur heimlich lieben durften, im Schiffe auf dem Grundelsee und fischten zum Zeitvertreib. Und wenn es im See an einer Stelle wo aufrauschte und die Wellen Abends recht leise klangen oder die Netze sich mit gar seltenen Fischen füllten, da riefen sie: „Das sind Grüße vom Seemann!“ –

Nach Dr. Rudolf G. Puff.
Anton Meixner:
„Des Volkes Sagen und Gebräuche“

Quelle: Johann Krainz, Mythen und Sagen aus dem steirischen Hochlande, Bruck an der Mur 1880.
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